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Journalismus Warum ein französischer Reporter für eine Reportage über Angela Merkel nun in Dessau recherchiert

Die drittgrößte französische Tageszeitung interessiert sich für Doppelstadt. Aber warum eigentlich? Und was hat das alles mit der scheidenden Bundeskanzlerin zu tun?

Von Oliver Müller-Lorey 29.08.2021, 09:00
Auf der Suche nach Gesprächspartnern zum Thema Angela Merkel und Ostdeutschland: der französische Journalist  Christophe Bourdoiseau.
Auf der Suche nach Gesprächspartnern zum Thema Angela Merkel und Ostdeutschland: der französische Journalist Christophe Bourdoiseau. (Foto: Thomas Ruttke)

Dessau-Roßlau/MZ - Wenn Korrespondenten ausländischer Tageszeitungen für eine Reportage über die ausgehende Ära Merkel einen Schauplatz suchen, kommen einige in Frage: Berlin, wo die scheidende Bundeskanzlerin seit mehr als 15 Jahren die Geschicke Deutschlands lenkt oder die Uckermark, wo die spätere Bundeskanzlerin aufwuchs zum Beispiel. Und doch sitzt Christophe Bourdoiseau an diesem bedeckten Dienstagvormittag auf einer der Bänke der Gartenträume-Longue, in der Hand ein Notizbuch und einen Stift, und hört aufmerksam zu.

Der 54-jährige freie Journalist schreibt im Auftrag der drittgrößten französischen Tageszeitung „Libération“ einen Artikel über die Ära Merkel. Ein Aspekt ist ihr Wirken in Ostdeutschland. „Haben die Ostdeutschen das Gefühl, Angela Merkel habe sich als eine von ihnen besonders für diesen Landesteil eingesetzt“, will der Journalist wissen. Schwierig.

„Wie wird Angela Merkel hier in Dessau-Roßlau gesehen, auch im Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen im Jahr 2015?“

Von den meisten wird sie wohl nicht als Ostdeutsche, sondern als „die Bundeskanzlerin“ gesehen. Nächste Frage: „Wie wird Angela Merkel hier in Dessau-Roßlau gesehen, auch im Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen im Jahr 2015?“ Es sind interessante Fragen, die Bourdoiseau hat. Aber leicht zu beantworten sind sie nicht. Es gibt ja nicht „die Dessauer“ oder „den Ostdeutschen“. Die Meinungen über die Bundeskanzlerin dürften so unterschiedlich sein, wie die Bevölkerung.

Dass sich Bourdoiseau überhaupt Dessau-Roßlau ausgesucht hat, um Gesprächspartner für seinen mehrseitigen Text zu finden, ist kein Zufall. „Ich wollte eine mittelgroße Stadt, die mit Abwanderung kämpft“, erklärt er. „In Frankreich ist dieses Problem nicht unbekannt. Auch dort kämpfen Städte unter 100.000 Einwohner um jeden Einwohner.“

Aber der Franzose, der seit 27 Jahren in Berlin lebt und von dort aus französische, belgische und schweizerischen Zeitungen mit Artikeln beliefert, hat auch einen persönlichen Bezug zu Dessau-Roßlau. Er ist Chanson-Sänger und spielte vor einigen Jahren beim Kurt-Weill-Festival. Dabei sei ihm Dessau-Roßlau in Erinnerung geblieben. Eine Stadt, die, wie er nach einem halben Tag sagt, „total viel Potenzial hat. Aber warum sinkt die Einwohnerzahl?“ Die nächste gute Frage.

Auch der Fall Oury Jalloh wird Erwähnung in seiner Reportage finden

Bourdoiseau ist für die meisten Reportagen zwei Tage lang unterwegs. Für Dessau-Roßlau hat er sich nur einen Tag Zeit nehmen können. Der ist dafür umso voller. Er spricht mit der Stadtverwaltung, mit der Initiative „Buntes Roßlau“, hat einen Jugendclub auf dem Plan stehen und will mit Politikern ins Gespräch kommen. Auch der Fall Oury Jalloh wird Erwähnung in seiner Reportage finden. Er will wissen, ob die Ereignisse noch heute Gesprächsthema seien und ob Rassismus und Polizeigewalt diskutiert würden. Wieder eine Frage, die so allgemein nicht beantwortet werden kann.

Bourdoiseau kennt sich aus in Deutschland, lebt seit immerhin fast drei Jahrzehnten im heute angesagten Prenzlauer Berg. Nur noch ein bis zweimal im Jahr besucht er seine Familie in Frankreich. Aber das reicht, um die Unterschiede der beiden Länder zu spüren. Frankreich ist zentralistisch regiert, alles bündelt sich in Paris: Behörden, Straßen, Zugstrecken, Universitäten, Jobs. Dessau-Roßlau sei mit seiner relativen Nähe zu Berlin in Frankreich wahrscheinlich schon längst Vorstadt der Hauptstadt geworden, scherzt Bourdoiseau. Im föderal Deutschland ist das anders. „Da konkurrieren die Städte miteinander. Das ist supergut“!