Von Fürsten und Ferkeltaxis Von Fürsten und Ferkeltaxis: Die bewegte, kurze Geschichte der Schienenbusse der Dessau-Wörlitzer Eisenbahn

Dessau - Dem schnittigen Slogan „Doppelt hoch - doppelt gut“ hielt der Doppelstock-Schienenbus der damaligen Deutschen Waggonbau AG (DWA) in der Realität nicht stand. Von den bis 1996 vom Waggonbau Dessau ausgelieferten sechs Exemplaren der Baureihe 670 verkehren derzeit nur noch drei Schienenbusse.
Da sind „Fürst Franz“ und „Fürstin Luise“ für die Dessau-Wörlitzer Eisenbahngesellschaft der Stadtwerke Dessau-Roßlau und „Alma“ für die Traditionsgemeinschaft „Ferkeltaxi“ im Erzgebirge unterwegs.
Quasi „in memoriam“ für den bei seinen Fahrgästen sehr beliebten, aber störanfälligen Doppelstock-Schienenbus erschien kurz vor dem Jahreswechsel im Buchhandel die Broschüre „Die Doppelstockschienenbusse der Baureihe 670“ im Verlag Dirk Endisch Stendal und aus der Feder des Lokführers Matthias Honigmann aus Rodleben.
Zwei Bahnfreunde haben sich in das glückloseste Fahrzeug in der Geschichte der Bahn AG verguckt
Die beiden Bahnfreunde haben sich bekennenderweise in das glückloseste Fahrzeug in der Geschichte der Deutschen Bahn AG verguckt. Honigmann ist gebürtiger Dessauer, hat im einstigen RAW (heute DB Fahrzeuginstandsetzung) gelernt.
Der heute 49-Jährige ist Lokführer aus Leidenschaft und überhaupt der Allererste, der das neue Fahrzeug 1994 nach dem Bau im Dessauer Waggonbau erstmals in Bewegung setzen konnte. Der Verlag von Dirk Endisch wiederum hat sich seit Jahr und Tag spezialisiert auf Publikationen über Bahnbetriebswerke.
Beide Bahnfreunde fanden schnell den rechten Draht zueinander. Und haben das Wohl und Wehe der Doppelstock-Schienenbusse genau im Blick. Die Spitznamen „Fahrendes Gewächshaus“ oder „Weißer Elefant“ haben alte Bahn-Spezis den Doppelstockbussen aus Dessau verpasst. Fahrgäste schätzen vor allem den traumhaften Blick aus den Panorama-Fenstern im Obergeschoss.
Deutsche Bahn 1996 fünf Schienenfahrzeugen der Baureihe 670 erworben
Nicht auf dem besten Sitzplatz, sondern im Führerstand nahm einer der prominentesten Mitreisenden Platz: Am 3. April 1998 setzte sich der damalige SPD-Chef, Wahlkämpfer und tatsächlich angehende Bundeskanzler Gerhard Schröder an den Platz an den Schalthebeln, um den Schienenbus „Alma“ in Ferropolis vom Stellwerk 31 auf dem Gleis hin zu den Baggern zu bugsieren.
„Ich stand daneben, habe aber genau aufgepasst und Schröder auf die Finger geschaut“, erinnert sich Matthias Honigmann lachend daran, wer das Kommando hatte.
Von sechs attraktiven Schienenfahrzeugen der Baureihe 670 aus Dessau hatte die Deutsche Bahn 1996 fünf erworben. Der Schienenbus verkehrte unter anderem in Thüringen auf der Strecke Weimar-Bad Berka-Kranichfeld und in Westdeutschland für die Moselwein Bahn zwischen Bullay und Traben-Trarbach sowie zwischen Trier und Perl.
Keine Weiterentwicklung der Techink der Doppelstockschienenbusse mehr
Der Einsatz im Gebirge war fast von Anbeginn die Achillesferse des neuen Fahrzeugs, sagen Endisch und Honigmann. Der Doppelstockschienenbus habe durch das Waggonbauschicksal in Dessau und Ammendorf keine Weiterentwicklung und Forschung mehr erfahren.
„Er blieb ein Einzelgänger und damit unwirtschaftlich für Bahnbetriebswerke“, schätzt Honigmann ein. Die Ersatzteilbeschaffung werde jedes Mal zur Odyssee.
Matthias Honigmann arbeitet selbst aktuell als „Abnahme-Lokführer“ bei der Bahn. Sprich: Wenn im Instandsetzungswerk in Dessau-Süd Elektro-Loks repariert werden, übernimmt er die anschließenden Probefahrten im Umkreis, testet verschiedene Werte und hält die in offiziellen Abnahmeprotokollen fest.
Den Doppelstock-Schienenbussen waren bei der Bahn AG keine lange Einsatzzeiten beschieden
Den Doppelstock-Schienenbussen waren keine lange Einsatzzeiten beschieden - die Bahn AG gab die gekauften Fahrzeuge an den Hersteller zurück, der sie dann an andere Eisenbahnunternehmen veräußerte. Zu den neuen Eigentümern gehört auch die Traditionsgemeinschaft „Ferkeltaxi“, die „Alma“ mit einer neuen, alten lichtgrauen Lackierung versah und zwischen Waltersdorf und Merkersbach durch das Erzgebirge schickt.
Mit den Eigentümern wechselten auch die Namen - und so touren zwischen Dessau und Wörlitz nach Restaurierung durch die DVV-Stadtwerke jetzt „Fürstin Luise“ (vorher Alfred) und „Fürst Franz“ (vorher Elfriede) durch das Gartenreich. (mz)
Der Prototyp wurde 1996 auf der Messe Innotrans in Berlin vorgestellt. Betriebsnummer 670.000 war nie für den Personenverkehr zugelassen. Gebaut wurden sechs weitere, sie fuhren in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz.
Verschrottet wurde bisher nur die Nummer 001. Nummer 002 fährt als „Alma“ für die Traditionsgemeinschaft Ferkeltaxi. 003 und 004 von der Eisenbahngesellschaft Potsdam haben keine TÜV-Betriebserlaubnis und sind in Neustrelitz geparkt. 005 und 006 fahren als „Fürst Franz“ und „Fürstin Luise“ im Raum Dessau.
Das Buch ist erhältlich beim Verlag Dirk Endisch, [email protected], und im Buchhandel.

