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Vom Unglücks-Elch zum Glücksbringer

Von CARLA HANUS 04.11.2008, 19:16

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Auch damals sorgte dieser Elch für Aufregung und Aufsehen, so wie der Elch, der vor wenigen Wochen im Landkreis Wittenberg gesichtet worden ist (die MZ berichtete). Der Kleutscher Diplomforstingenieur Lothar Hain jedenfalls kann sich noch gut daran erinnern.

Hain war damals Leiter einer Abteilung im Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Roßlau / Elbe, zu der das Referat Jagdbewirtschaftung zählte. Die Jagdbewirtschaftung wiederum war verantwortlich für die Bereitstellung von Jagdwaffen und Munition, die materiell-technische Versorgung der Jagdgesellschaften, den Wildhandel sowie auch die Bergung, Versorgung und Verwertung von Unfallwild auf Straßen und Autobahnen.

Gefährlicher Job

Für den Abschnitt Coswig-Dessau Ost auf der Autobahn war Hain der Verantwortliche für die Unfallwildbergung, da er derjenige Bedienstete war, der am nächsten dran wohnte. Der Wildbestand und der Verkehr seien vor rund 30 Jahren geringer gewesen, meint Hain, aber vier bis fünf Unfälle im Jahr habe es doch gegeben. Wobei die Wildbergung bei fließendem Verkehr, teilweise auch vom Mittelstreifen aus und mit dem Privat-Pkw erfolgte.

Am 29. Mai 1975, kurz nach 22 Uhr, klingelte bei Lothar Hain das Telefon. Auf der Autobahn am Kilometer 63,5 in Fahrtrichtung München sei ein großes Tier mit einem Lkw frontal kollidiert, ich solle einen Hänger mitnehmen, es handele sich wahrscheinlich um einen Elch", rief der Diensthabende des Volkspolizeikreisamtes (VPKA) Dessau Hain zum Einsatz.

Hain glaubte zunächst an einen üblen Scherz. Doch dann erinnerte er sich an einen Bericht seines Kollegen Werner Specht Mitte Mai des Jahres. Dieser hatte erzählt, dass er beim Ansitz zur Jagd im Dübenschen Hagen, einer Waldfläche zwischen Düben und Luko, einen äsenden Elch ohne Geweih gesehen habe. Wofür Specht großes Gelächter und die entsprechenden Bemerkungen geerntet hatte.

Hain fuhr mit seinem Skoda, einen Hänger hatte er nicht, in Ost auf die Autobahn. Aber erst, als er nach der Elbbrücke auf der Gegenfahrbahn Blaulicht sah, glaubte er die Geschichte auch wirklich.

Tatsächlich lag vor einem Lkw W 50 mit eingedrücktem Führerhaus ein männlicher Elch, dessen Geweih im Schieben begriffen war. Das Tier hatte versucht, die Autobahn von der Coswiger Seite aus zu queren und war frontal erfasst worden. Von Hain und dem gleichfalls alarmierten Forstmeister Ingolf Hahn wurde der Elch aufgebrochen und "die für unsere Verhältnisse riesige Leber mit den Polizisten vor Ort geteilt", berichtet Hain. Natürlich mit dem Hinweis, dass diese nicht vor der veterinärhygienischen Freigabe verzehrt werden dürfte. Zum Abtransport des Tieres musste dann ein Kraftfahrer mit Lkw geordert werden, der den Elch zur Wildsammelstelle des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes brachte.

Hier wurde der Unfall-Elch zur Sensation und zum Foto-Objekt Nummer eins. Außerdem wurde festgelegt, dass der Elch von der Martin-Luther-Universität vermessen werden sollte, um die Daten für wissenschaftliche Zwecke zu verwenden. Das Wildbret sollte in Dessau verkauft werden.

Hain indes war 1969 bei der Umgestaltung der Haideburger Gaststätte "Birkenwäldchen" zur HO-Gaststätte "Jägerklause" als fachlicher Berater für die jagdliche Innendekoration tätig gewesen. Und der Staatliche Forstwirtschaftsbetrieb hatte "eine Art Patenschaft zur ausreichenden Wildversorgung" erklärt. "Daher sollte der Elch in der Jägerklause verarbeitet und angeboten werden", erinnert sich Hain.

Bürokratisches Hindernis

Allerdings galt es noch ein bürokratisches Problem zu überwinden: "Es gab keinen genehmigten Abgabepreis für Elchwildbret. Die geltende Preisordnung für Wild und Wildgeflügel enthielt logischerweise Elch nicht." Die Abteilung für Handel und Versorgung des Rates des Bezirkes musste zustimmen, dass der Elch, der aufgebrochen mit Haupt 201 Kilogramm wog, zum Rotwildpreis an die "Jägerklause" gehen durfte.

In die "Jägerklause" wurde nach der Datenerfassung auch das präparierte Elchhaupt gebracht. Wo es als Glücksbringer gilt, denn da es nicht den Motten oder den Zeichen der Zeit zum Opfer gefallen ist, hängt es noch heute dort.