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Vom Stahlhaus zum Staatsbeton

Von Thomas Altmann 10.05.2006, 15:22

Dessau/MZ. - "Bauhaustradition und DDR Moderne - Der Architekt Richard Paulick" heißt ein mit Unterstützung der Kunststiftung Sachsen-Anhalt im Deutschen Kunstverlag erschienener Sammelband, der Beiträge eines Kolloquiums enthält, zu dem die Stadt Roßlau und die Stiftung Bauhaus Dessau anlässlich des 100. Geburtstages des Architekten Wissenschaftler und Zeitzeugen eingeladen hatte. Nun wurde das Buch im Dessauer Rathaus präsentiert und eine ebenfalls 2003 konzipierte Ausstellung über Paulick eröffnet. Das von Wolfgang Thöner und Peter Müller herausgegebene Buch ist keine umfassende Gesamtschau. Eher bietet die interdisziplinäre Autorenschaft Blicke aus verschiedenen Richtungen, eine Sondierung der Fakten und der Problematik. Spannungsvoll begann schon Paulicks Werdegang. Da sind das traditionell ausgerichtete Studium in Dresden und Berlin und die Kontakte zum Bauhaus. Thöner zieht zudem Linien zwischen den "eng definierten funktionalistischen Ansprüchen" von Architekten wie Hannes Meyer oder Ludwig Hildesheimer und der Formelhaftigkeit moderner Großsiedlungsbauten nach dem Krieg.

Während des Berliner Studiums plante Paulick mit Georg Muche das Stahlhaus in Dessau. Später wurde er Leiter des Baubüros von Walter Gropius, beteiligt etwa an den Projekten Siedlung Törten und Arbeitsamt. In Dessau baute er die DEWOG-Siedlung Heidestraße und das gerade unter Denkmalschutz gestellte Haus Kiefernweg 14. Während der Emigration in Shanghai war er Professor an der St. John's Universität und arbeitete am Masterplan der Metropole.

Die von Walter Ulbricht als "Eierkistenarchitektur" diffamierte Moderne fiel mit der Gründung der DDR und vollends nach der Formalismusdebatte in Ungnade. 1949 zurückgekehrt, hatte sich Paulick bald dem sowjetischen Diktat einer historisierenden Gestik der Macht zu beugen. Er beteiligte sich an der Ost-Berliner Zentrumsplanung, war beauftragt mit der Organisation der Großbaustelle Stalinallee, errichtete die Deutsche Sporthalle. Als Chruschtschow die neue Regel "besser, billiger, schneller bauen" vorgab, wurde Hoyerswerda zum Pilotprojekt des industrialisierten Bauens. Paulick war zeitweilig Chef des Großversuchs. Später stellte er den Plan des Bauhausschülers Selman Selmanagic, mit Schwedt ein "Ohnesorge des Sozialismus" zu schaffen, auf die real existierenden, sozialistischen Füße. Paulick leitete zuletzt die zweite Etappe der Planung von Halle-Neustadt.

Von Station zu Station beleuchtet das Buch das Wechselspiel von Ideologie und Ökonomiediktat, von gleichgeschalteter Moderen und beschlagnahmter Tradition. Uwe Schwartz resümiert über den Wiederaufbau der Staatsoper. "Am Ende beanspruchte Paulick, Knobelsdorff nachträglich zu schöpferischer Freiheit verholfen zu haben." Bleibt die Frage, ob der Wohnungsbau Ost nur eine mittellose Kastration der Utopie war. Heute wird, im Nirgendwo scheint sie am Schönsten, die Utopie zurückgebaut. Aus Shanghai schrieb Paulick an Muche über die Schwierigkeit, das Glück der kleinen Leute zu behausen: "Ich musste an die Karnickel in der Badewanne der Törtner Siedlung denken".