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Viel Fleiß mit Lücken Viel Fleiß mit Lücken: Amerikaner stellt Biografie über Dessauer Jagdflieger Oswald Boelcke vor

Von Thomas Steinberg 02.09.2018, 07:00
Im Landesarchiv stellt Lance J. Bronnenkant die Biografie vor.
Im Landesarchiv stellt Lance J. Bronnenkant die Biografie vor. Lutz Sebastian

Dessau - Diese Augen. Mal wurden sie als „herrlich tiefblau“ beschrieben, mal mit denen eines Adlers verglichen oder ihr Blick als „stechend“ beschrieben. Vier oder fünf Zeitgenossen bemüht Lance J. Bronnenkant in seinem Vortrag, um den Sehapparat eines Mannes zu beschreiben, dem er eine 800-seitige Biografie gewidmet hat: Oswald Boelcke.

Bronnenkant ist Amerikaner, schreibt seit Jahren über deutsche Kampfflieger im Ersten Weltkrieg, von denen der Dessauer Boelcke vielleicht der berühmteste war, bis er von seinem Schüler Manfred von Richthofen in den Schatten gestellt wurde. Am Dienstag war Bronnenkant auf Einladung des Vereins für anhaltische Landeskunde Gast im Stadtarchiv, um sein Buch zu präsentieren.

Ein wohlgemerkt dicker Wälzer, den in der Kürze der Zeit zu lesen ein Dinge der Unmöglichkeit ist. So muss man sich, was die Bewertung des Buchs angeht, an den Vortrag halten – und an die Antwort auf eine Frage an den Autor: Ob er denn die historische Folie berücksichtigt habe, vor der Boelcke flog und abstürzte: „Nein, es ist ausschließlich eine Biografie.“

Schwerlich zu glauben: Boelcke war laut Bronnenkant ein Mensch ohne Fehl und Tadel

Was Bronnenkant unmöglich abgesprochen werden kann, ist sein unermüdlicher Fleiß. So viel wie er hat noch niemand über den in Dessau beigesetzten Boelcke zusammengetragen. Doch sein Werk bleibt unvollständig. Der mag, was im Vortrag immer wieder beteuert wurde, ein integrer Mensch gewesen sein, ein hervorragender Pilot, fair zu seinen Untergebenen und zu seinen Gegnern.

Ihm mag das öffentliche Aufheben um seine Person lästig oder peinlich gewesen sein, es mag stimmen, dass er zugleich witzig und bescheiden auftrat.

Boelcke, so jedenfalls Bronnenkant in seinem Vortrag, war ein Mensch ohne Fehl und Tadel – was schwerlich zu glauben ist. Doch Bronnenkant unterließ es am Dienstagabend, die Aussagen von Zeitgenossen einzuordnen, auch solche eher läppischen wie zu seinen Augen.

Nach vier Jahren Krieg gab es zwar Sieger, aber keine Gewinner und 17 Millionen Tote

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, ahnte niemand, dass er anderes werden sollte als alle anderen je zuvor geführten Kriege. Panzer, Giftgas, leichte Maschinengewehre – in diesem Konflikt kamen neue Waffen zum Einsatz, die von allen beteiligten Seiten ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt wurden.

In militärisch sinnlosen Aktionen wie den Stellungskriegen an der Somme, in Flandern oder vor Verdun wurden Abertausende Soldaten in einen Tod getrieben, der nichts Heldenhaftes hatte. Nach vier Jahren gab es zwar Sieger, aber keine Gewinner und 17 Millionen Tote.

Es waren zuerst die Franzosen, die darauf verfielen, Kampfpiloten zu Helden zu stilisieren, die die angeblichen Tugenden der ritterlichen Kriegsführungen fortsetzten. Die anderen Nationen zogen nach. Und tatsächlich stimmte es ja auch: Die Piloten verzichteten teilweise auf den Abschuss des Gegners, besuchten gefangen genommene Piloten und zu Boelckes Beerdigung im Jahr 1916 (zu der tausende Dessauer kamen) schickten britische Flieger Kränze.

In der Rückschau hätten die eklatanten Widersprüche von Bronnenkant aufgeklärt und einordnet werden müssen

Das Elend in den Schützengräben konnte man so in der Propaganda ausblenden, ebenso die Tatsache, dass Jagdpiloten militärisch von Anfang an eine nachrangige Rolle gespielt haben etwa im Vergleich zu Bomberbesatzungen.

Auch wenn Boelcke mit gerade einmal 25 starb – dass ein Widerspruch klaffte zwischen den Duellen in der Luft und dem industrialisierten Kriegsgeschehen am Boden, dürfte ihm nicht entgangen sein. Dass er damit Probleme gehabt hatte, erwähnte Bronnenkant in seinem Vortrag nicht, es ist auch wenig wahrscheinlich vor dem Hintergrund des herrschenden Zeitgeistes.

Doch solche in der Rückschau eklatanten Widersprüche hätte Bronnenkant aufklären und einordnen müssen. Statt dessen lieferte er in seinem Vortrag eine unreflektierte Heldensaga ab, die den Wert seiner Arbeit erheblich schmälert. (mz)

Trauerzug 1916 durch Dessau zur Beisetzung Oswald Boelckes
Trauerzug 1916 durch Dessau zur Beisetzung Oswald Boelckes
Stadtarchiv