Ungewöhnliches aus Dänemark
Dessau/MZ. - Dänemark, dem großen unbekannten Musikland, kommt man nur über Umwege näher. Denken wir also an einen Film der Olsenbande, in dem die Kultganoven mit Brecheisen und Sprengsätzen ins Königliche Theater von Kopenhagen eindringen - geleitet von einer Musik, die nicht für den Film komponiert, sondern 1828 in eben jenem Theater uraufgeführt wurde. Den Namen des Stückes darf man sich auch in Deutschland merken: Es ist Friedrich Kuhlaus Ouvertüre zum Schauspiel "Elverhøj" (deutsch: Elfenhügel), die in Dänemark so populär ist wie die Nationalhymne des Landes.
Frei vom Film konnte sich die "Elverhøj"-Ouvertüre im Sinfoniekonzert der Anhaltischen Philharmonie am Donnerstag entfalten. Sie eröffnete das vielleicht spannendste Konzert dieser Spielzeit, das nicht zufällig von Deutschlandradio Kultur live übertragen wurde: ein dänisches Programm mit zwei Wiederuraufführungen.
Drei Komponisten
Doch was heißt schon dänisch? Kuhlau wurde 1786 in Niedersachsen geboren und floh vor Napoleons Truppen nach Dänemark, wo er zum Nationalkomponisten aufstieg. Franz Xaver Neruda (1843-1915), von dem zwei vergessene Cellokonzerte zu hören waren, stammte aus einer böhmischen Musikerdynastie und war nicht nur in Kopenhagen, sondern in halb Europa tätig. Der große Carl Nielsen (1865-1931) schließlich war zwar waschechter Däne, doch mit seiner vierten Sinfonie legte er ein pazifistisches Bekenntniswerk vor - kein nationalistisches.
Das alles spricht nicht gegen das Konzertprogramm, sondern verdeutlicht nur die Durchlässigkeit "nationaler" Stilgrenzen in der Musik. Selbst die "Elverhøj"-Ouvertüre unterschied sich - ohne Kenntnis der darin enthaltenen dänischen Volksmusik - kaum von den Idiomen der deutschen Frühromantik. Ja, sie klang mal nach Weber, mal nach Mozart, am triumphalen Ende nach Brahms. Ein unterhaltsames, nicht allzu komplexes Werk mit königlichem Trompetengeschmetter und schönen Melodien. Diese Mixtur wirkte, auch weil die von Golo Berg geleitete Anhaltische Philharmonie zupackend und frei von Behäbigkeit agierte. Die schwerere Aufgabe folgte mit zwei Cellokonzerten von Franz Xaver Neruda, die die in London lebende Solistin Beate Altenburg ausgegraben hatte und in Dessau erstmals seit der Entstehungszeit um 1880 zur Aufführung brachte. Freitag folgten zwei weitere Neruda-Konzerte, ein fünftes wurde nichtöffentlich aufgenommen. Bald sollen sie alle auf CD erhältlich sein.
Hochsensibles Spiel
Beate Altenburg, eine schöne junge Frau mit der Statur einer Athletin, spielte hochsensibel diese episch ausgebreiteten, reizvollen, doch seltsamen Werke: Seltsam, weil alle Cellokonzerte Nerudas nur aus einem Satz bestehen und dem Hörer wenig dramaturgischen Halt bieten. Umso mehr fiel die opulente Solo-Kadenz im e-Moll-Konzert auf, die sehr gelungen von der Cellogruppe aufgegriffen wird. Hier kam Altenburgs zarter, schlanker Ton am besten zum Tragen - wurde aber auch sonst vom höchst aufmerksamen Orchester nicht übertönt.
Wie sehr sich die bestens aufgelegte Philharmonie bei den Neruda-Konzerten zurückhielt, wurde in Carl Nielsens monumentaler vierter Sinfonie (1916) deutlich, die den markanten Titel "Die Unauslöschliche" trägt - ein Verweis auf die nie endende Kraft der Musik, die Nielsen den Schrecken des Ersten Weltkriegs entgegen setzt. "Wie ein reines, scharfes Schwert" (Zitat Nielsen) ist diese Sinfonie; endzeitlich gestimmt bäumt sie sich gewaltig auf, entlarvt naive Schönheit und deutet Pathos zur Tragödie um. Kein versöhnliches, sondern das aufwühlende Ende eines bemerkenswerten Konzerts.