Teuere Laktoseintoleranz Teuere Laktoseintoleranz: 52-jähriger Mann aus Dessau fordert Aufschlag auf Hartz-IV-Regelsatz

Dessau - Er will sich nicht geschlagen geben. Auch wenn Hans-Peter H. seit 2013 mit dem Jobcenter streitet. „Die nächste Gerichtsverhandlung“, sagt der 52-jährige Dessauer, „ist im September“.
Dann, so hofft er, wird im zugesprochen, was das Jobcenter ihm standhaft verweigert: einen Aufschlag auf die Hartz-IV-Grundsicherung. Er müsse nämlich mehr Geld für seine Ernährung ausgeben als andere. H. hat eine Laktoseintoleranz.
Für ihn heißt das, zum Beispiel auf Milch oder Sahne zu verzichten und auch sonst etwas Vorsicht walten zu lassen, wenn es ums Essen geht. Bei laktoseintoleranten Menschen bildet der Dünndarm nur wenig oder keine Laktase, ein Enzym, das Milchzucker aufzubrechen vermag. Nehmen sie zu viel Milchzucker auf, führt das häufig zu unangenehmen Verdauungsbeschwerden.
Jobcenter Dessau übernimmt Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz nicht
Susan Heydorn vertritt H. als Anwältin. Sie darf wegen des Mandantenschutzes nicht über Details reden, aber sieht immer noch Chancen, für ihn, vor dem Dessauer Sozialgericht mehr Geld für seine Ernährung bestreiten zu können.
„Die Schwierigkeit ist, nachzuweisen, um wie viel teuerer genau die Ernährung ist.“ Im Hartz-IV-Regelsatz sei dafür schon ein Puffer vorgesehen, erst wenn der nicht ausgeschöpft werde, könne eine Zulage gefordert werden.
Das Jobcenter Dessau beruft sich auf die aktuelle „Weisungslage“ - man übernehme also den Mehrbedarf bei Laktoseintoleranz nicht. Einzelfälle könnten indes geprüft werden, aber dann müsse eine ärztliche Bescheinigung vorliegen und der Ärztliche Dienst konsultiert werden.
Die Aussage hält sich an jene Leitlinie, die zuletzt 2014 der von Kommunen und Wohlfahrtsverbänden getragene Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge veröffentlicht hat.
75 Prozent der Erwachsenen weltweit vertragen keine Laktose
Der Aufschwung, den das Thema Laktoseintoleranz erfahren hat, und die Tatsache, dass es auf vielen Websites mit Krankheit in Verbindung gebracht wird, nervt Uwe Wenzel, Professor für Molekulare Ernährungsforschung an der Uni Gießen. Dann müssten nämlich weltweit 75 Prozent der Erwachsenen als krank angesehen werden, weil sie Laktose nicht vertrügen.
Erwachsene Säugetiere, also auch der Mensch, vertragen normalerweise keine Milch. Die Fähigkeit, sie zu verstoffwechseln, geht mit dem Abstillen beziehungsweise Absetzen beim Nachwuchs verloren. So ist es eine Ausnahme, dass vor allem Menschen in Mittel- und Nordeuropa lebenslang Milch zu sich nehmen können.
Diese Fähigkeit hatte sich vor wenigen tausend Jahren als evolutionärer Vorteil unter Ackerbauern und Viehzüchtern durchgesetzt - und Milchverträglichkeit zu einer Art Norm erhoben.
80 bis 90 Euro mehr pro Monat für eine laktosefreie Ernährung
Hans-Peter H. macht Mehrausgaben von 80 bis 90 Euro monatlich für seine laktosefreie Ernährung geltend. Doch kosten laktosefreie Lebensmittel tatsächlich mehr als „normale“? Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hegt Zweifel.
„Es gibt inzwischen Handelsmarken, die sind nicht teurer.“ Außerdem ist völlige Laktoseintoleranz eher die Ausnahme, so dass durchaus Milchprodukte mit wenig Milchzucker - zum Beispiel Joghurt oder Hartkäse – durchaus verzehrt werden können.
H.s Anwältin schätzt die Chancen eher gering ein, noch einen Sieg einzufahren
Ob H. vor dem Sozialgericht Chancen haben wird, hänge wesentlich vom Richter ab, meint dessen Anwälten Susan Heydorn. Schaut man sich die aktuelle Rechtsprechung an, scheinen die Chancen eher gering, wenn H. nicht sicher nachweisen kann, zum Beispiel auf Brot angewiesen zu sein, von dem fünf Scheiben 2,65 Euro kosten.
Ein Urteil des Bundessozialgerichts von 2013 stellte die Weichen - und war zunächst vielfach falsch interpretiert worden: Die Behörden müssten zahlen, wurde auf Betroffenen-Websites gejubelt. Zu früh gefreut. Seither lehnen Gerichte landauf, landab Mehrbedarfsklagen ab - und berufen sich dabei genau auf die Entscheidung des obersten deutschen Sozialgerichts. (mz)