Technikmuseum in Dessau Technikmuseum in Dessau: Weltrekordler Hanomag ist nur kurz da

Dessau/MZ - Wenn gestandene Männer älteren Semesters plötzlich dieses Funkeln in den Augen aus Kindertagen wieder kriegen und vor lauter Vorfreude vermuten lassen, dass es rund zwei Monate nach Weihnachten noch eine Bescherung gibt, dann muss schon was Besonderes passiert sein.
Weltrekorde sind passiert, vor genau 75 Jahren auf der damals neu eröffneten „Rennstrecke“ der heutigen Autobahn 9 zwischen Dessau und Bitterfeld. Ein Stück Technik, das für diese Weltrekorde steht, wurde am Sonnabend im Technikermuseum „Hugo Junkers“ enthüllt und war dann für diesen Tag den Besuchern ein besonderer Blickfang zum Posieren fürs heimische Fotoalbum, zum Anfassen und Fachsimpeln. „Dieses Objekt ist Gänsehaut pur“, brachte Helmut Erfurth das auf den Punkt, was viele dachten und nicht besser sagen konnten über die Rekonstruktion des Hanomag Rekord Diesel.
Rekord auf Dessauer Strecke
Am 8. und 9. Februar 1939 war die Region der Nabel der Autowelt. Mercedes Benz, die Bayerischen Motorenwerke und die Sportabteilung von Hanomag aus Hannover führten zu diesem Zeitpunkt Versuchsfahrten zwischen Dessau-Süd und Bitterfeld durch. Rudolf Caracciola, legendärer Silberpfeil-Pilot in Diensten von Mercedes-Benz, stellte mit einer kurzzeitig gemessenen Geschwindigkeit von 400 km/h mit seinem 3-Liter- Rennwagen einen bisher nie dagewesenen Geschwindigkeitsrekord auf. Nicht weniger Beachtung wurde Karl Häberle, einem Ingenieur der Hanomag, mit seinem Rekord Diesel zuteil. 155,6 Kilometer pro Stunde erreichte er mit fliegendem Start mit seinem 1.9 Liter-Motor auf einer Distanz von fünf Kilometern. „Das mag man aus heutiger Sicht belächeln“, so Erfurth. „Doch damals war das eine Sensation“, ergänzt er. Denn Dieselmotoren galten bis zu diesem Zeitpunkt als ungeeignet für den Rennsport.
Zur „Stadt der Weltrekorde zu Luft, zu Lande und auf dem Wasser“ wollte der von 1933 bis 1945 amtierende Dessau-Roßlauer Oberbürgermeister Hanns Sander die Doppelstadt an Elbe und Mulde werden lassen. Die Voraussetzungen dafür waren günstig. Mit den Junkers-Werken war eine der innovativsten Flugzeugschmieden der Welt in der Stadt ansässig. Mit den weltweit ersten funktionstüchtigen Tragflügelbooten machte die Sachsenberg-Werft in Roßlau auf sich über die Region hinaus aufmerksam. Mit der 1939 zwischen Dessau und Bitterfeld eingeweihten „Rennstrecke“ der Autobahn 9 von Berlin nach München sind untrennbar die Geschwindigkeitsrekorde des legendären Mercedes Silberpfeils, des Hanomag Rekord Diesels und eines Sportwagens der britischen Automarke MG verbunden. (dgi)
Als „Motor für behäbige Stinker“, tat die Fachwelt damals die Erfindung von Rudolf Diesel ab. „Hanomag hat Dieselmotoren mit dem Rekord auf der Dessauer Rennstrecke überhaupt erst salonfähig gemacht“, unterstreicht Erfurth. Neben Citroën und Mercedes-Benz gehörten die Hannoveraner zu den ersten Serienherstellern von Diesel- Motoren für Pkw.
Lange Zeit war es still um den Hanomag Rekord Diesel und das Ereignis vom 8. Februar 1939 fast in Vergessenheit geraten. Der Rekordjäger von 1939 wurde schon einige Zeit später durch einen Alliierten-Angriff auf die Hannoveraner Werkshalle, wo er stand, komplett vernichtet, die Pkw-Produktion nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgenommen. 1984 ging die Hanomag endgültig in die Insolvenz. Was blieb, waren ein paar Enthusiasten, die dieses Stück Industriegeschichte auch für kommende Generationen in einer Interessengemeinschaft lebendig halten wollten.
Auf Messen und Veranstaltungen werden Technik und Pioniergeist der Hannoveraner Industrieschmiede immer wieder der Öffentlichkeit ins Gedächtnis gerufen, auch mit einer Rekonstruktion des Hanomag Rekord Diesel. „Dieses Ereignis und dieses Auto ist in der Unternehmensgeschichte was ganz Besonderes. Dafür strengt man sich noch ein bisschen mehr als sonst an“, betont einer der Hauptinitiatoren, Horst-Dieter Görg, gegenüber der MZ. Archive wurden nach Fotos und Zeichnungen durchforstet. Noch vorhandene Einzelteile der damaligen Serientechnik quer durch die Republik zusammengestöbert und in mühevoller Kleinarbeit zusammengesetzt. Immer wieder wurden Sponsoren zur Finanzierung bemüht.
Auf rund 100 000 Euro schätzt Görg die bisherigen Investitionen. Jetzt fehlt nur noch die legendäre Aluminiumhülle, um den stromlinienförmigen Weltrekordler zu komplettieren. Im Sommer soll es soweit sein. Sieben Jahre Arbeit, von der Idee bis zur letzten Schraube, sollen dann einen würdigen Abschluss finden.
Modell im Maßstab 1:3
Die Aufmerksamkeit ist jetzt schon groß. Am ersten Februarwochenende wurde der Hanomag auf der Bremen Classic Motorshow präsentiert. „Die Leute haben uns deswegen die Bude eingerannt“, resümiert Horst-Dieter Görg. Auch das Interesse im Technikmuseum war überwältigend. Das Original hat Görg am Wochenende wieder mit nach Hannover genommen. Ein Modell im Maßstab 1:3 soll die Wartezeit im Technikmuseum auf einen längeren Aufenthalt der originalen Rekonstruktion im Sommer derweil verkürzen. „Dann wollen wir es auch auf der Rennstrecke wie einst die Pioniere fahren“, verspricht der Obermeister der hiesigen KFZ-Innung, Klaus-Lothar Bebber.

