Streit um Deutungshoheit Streit um Deutungshoheit: Soll sich Stadtrat von Dessau-Roßlau für Bauhaus-Schließung 1932 entschuldigen?

Dessau - Es soll eine symbolische Geste zum nahenden Jubiläumsjahr werden. „Ich hätte mir gewünscht, dass sich da alle anschließen“, sagt Ralf Schönemann mit leidgeprüfter Stimme. Dem Vorsitzenden der Linken-Fraktion im Stadtrat geht es um das Bauhaus - erneut. Lange war in Dessau-Roßlau darüber gestritten worden, ob die berühmte Kunstschule den nordelbischen Stadtteil im Stadtnamen ersetzen sollte. Jetzt geht der politische Kampf um die Deutungshoheit in die nächste Runde.
„Ein Neuanfang beginnt mit einer Entschuldigung“, erklärt Ralf Schönemann. Und zwar mit einem Pardon, das ihm zufolge lange fällig sei. Seine Partei möchte, dass der Stadtrat sich offiziell für die Schließung des Bauhauses im Jahr 1932 entschuldigt.
Vor 86 Jahren hatte der Dessauer Gemeinderat auf Initiative der NSDAP beschlossen, den Betrieb der Hochschule einzustellen und alle Lehrkräfte zu entlassen. Die Linke hat hierzu Mitte März eine Beschlussvorlage in den Kulturausschuss eingebracht, gemeinsam mit der SPD und dem Bündnis aus Grünen und Liberalem Bürger-Forum. Dieser Vorstoß sorgt jetzt für Diskussionen.
Wortwahl des Antrags ist in den Fraktionen umstritten
„Ich kann mich nur für etwas entschuldigen, das ich selbst getan habe“, findet CDU-Stadtrat Eiko Adamek. Er spricht sich dafür aus, das Verb „entschuldigen“ im Antrag durch „distanzieren“ zu ersetzen. Der Kulturausschuss habe mehrheitlich dafür votiert, die Vorlage entsprechend zu überarbeiten. Grundsätzlich sei seine Fraktion aber einverstanden mit dem symbolischen Akt.
„Natürlich war es unsäglich, was damals passiert ist“, meint Adamek und betont: „Wir finden das so inakzeptabel wie alle anderen auch.“ Wirklich glücklich mit diesem Kompromiss klingt Ralf Schönemann nicht. „Wir haben uns nicht ohne Grund für diese Wortwahl entschieden“, sagt der 65-Jährige und erläutert: „Distanzieren ist nicht dasselbe wie entschuldigen.“ Die Beschlussvorlage haben die Fraktionen vorerst dennoch zum Bearbeiten zurückgenommen. Es gehe ihm um eine möglichst breite Mehrheit für sein Vorhaben, so Schönemann.
Ex-SPD-Mann Hans-Peter Dreibrod greift den Vorschlag scharf an und beklagt „Bauhaus-Manie“
Auf seinen Stadtratskollegen Hans-Peter Dreibrodt kann er dabei nicht zählen. Der Ex-SPD-Mann war im vergangenen Jahr bei den Sozialdemokraten ausgetreten und bildet seitdem mit zwei ehemaligen AfD-Stadträten und Harald Trocha die Freie Fraktion Dessau-Roßlau. Im aktuellen Amtsblatt greift er Schönemanns Vorschlag scharf an und beklagt eine „Bauhaus-Manie“ seiner Kollegen.
Für den historischen Beschluss um Entschuldigung zu bitten, sei eine Zumutung für die Stadträte. Zudem bezeichnet Dreibrodt die angedachte Abbitte auch als Anmaßung gegenüber den damaligen Gemeinderäten. Denn: Die Entscheidung sei nicht nur politisch motiviert gewesen, sondern auch aus dem langjährigen Streit um die Kosten des Bauhauses hervorgegangen. „Finanziert hat alles die Stadt, das waren Steuergelder der Dessauer“, fasst Dreibrodt gegenüber der MZ zusammen und legt nach: „Die Fraktionen haben sich geschnitten, wenn sie denken, dass die Vorlage so durch den Stadtrat geht.“
„Mein lieber Herr Gesangsverein“, kommentiert Ralf Schönemann und meint: „Damit hat er sich als ahnungslos dargestellt.“ Der Linken-Politiker sieht die Gründe für das Ende der Kunstschule vor allem in der nationalsozialistischen Machtergreifung. Der Lesart des Stadtratskollegen könne sich seine Fraktion nicht anschließen.
Das Bauhaus sei damals im bürgerlichen Lager aber auch vermehrt als kommunistisch wahrgenommen worden
„Das kann man nicht als wirtschaftliche Entscheidung verharmlosen, die Drohgebärden der Nationalsozialisten kann Dreibrodt sich gar nicht vorstellen“, so Schönemann. „Im Gegenteil“, erwidert dieser und betont: „Die wirtschaftliche Dimension war eklatant und die NSDAP hat das Bauhaus nicht alleine geschlossen.“ Die Korrektheit der geschilderten Geschichtsverläufe habe er sich von Stadtarchivleiter Frank Kreisler bestätigen lassen. „Diejenigen, die das Bauhaus heute nur noch als goldenes Kalb anbeten, wollen die Schattenseiten ausblenden“, meint Dreibrodt.
Bernd Ulbrich hält beide Punkte für relevant. Der Historiker kennt die Dessauer Geschichte, 2013 hat er ein Buch über den Weg der Stadt durch das 20. Jahrhundert veröffentlicht. „Die Finanzfrage war seit 1925 stark aufgeladen, das war eine Menge Geld für die damalige Zeit“, weiß Ulbrich zur städtischen Finanzierung der Kunstschule zu berichten.
Das Bauhaus sei im bürgerlichen Lager aber auch vermehrt als kommunistisch wahrgenommen worden, insbesondere nachdem Hannes Meyer im Jahr 1928 Direktor wurde. Die NSDAP habe dies für ihre rechte Propaganda aufgegriffen und die Kunstschule schließlich 1932 abgewickelt. „Das hatte eine starke Symbolkraft“, versichert der Historiker.
Linken-Franktion im Stadtrat will Erinnerungskultur
Genug Symbolkraft, um diesen einen Beschluss aus dem historischen Unrecht hervorzuheben? Ralf Schönemann verweist nicht nur auf das anstehende Bauhaus-Jubiläum, sondern argumentiert auch mit der aktuellen politischen Lage.
„Am Firmament zeichnet sich ein gefährlicher Rechtsruck ab“, mahnt der 65-Jährige und zeigt sich kämpferisch: „Dem muss man die Stirn bieten.“ Der Blick in die Vergangenheit soll dazu beitragen. „Wir sind dabei, eine neue Art der Erinnerungskultur zu entwickeln“, erklärt der Stadtrat. Und seine Fraktion habe noch einiges anderes „im Köcher“, wozu man sich positionieren müsse. (mz)
