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"Spaziergang" nach Spanien "Spaziergang" nach Spanien: Ein Dessauer ist 2.800 Kilometer des Jakobswegs gelaufen

Von Danny Gitter 15.01.2017, 13:00
Nach acht Monaten waren die Wanderer in Santiago de Compostela angekommen (re.). Unterwegs sammelten sie ihre Pilgerstempel und erfuhren  in Frankreich und überall große Gastfreundschaft in Gärten und Häusern.
Nach acht Monaten waren die Wanderer in Santiago de Compostela angekommen (re.). Unterwegs sammelten sie ihre Pilgerstempel und erfuhren  in Frankreich und überall große Gastfreundschaft in Gärten und Häusern. Privat

Dessau - Es war ein Experiment. Es war ein Abenteuer und vor allem war es eine lange Tour. Nach rund acht Monaten und exakt 2.819 Kilometern zu Fuß, ist Stephan Meurisch am 13. Dezember 2016 endlich in Santiago de Compostela angekommen.

Damit hat der gebürtige Dessauer nicht nur den berühmten Jakobsweg von seiner Heimatstadt bis in den spanischen Nordwesten bezwungen. Er hat sich auch selbst mit seinen 35 Jahren noch einmal besser kennen gelernt.

Ein Gang zu sich selbst

„Jetzt weiß ich, was ich will und kann“, sagt der gebürtige Dessauer, der hier einst im Bahnausbesserungswerk Elektroniker lernte und 2006 nach München zog. Unter anderem als technischer Berater in einem Callcenter, als Elektroniker bei einem Energiedienstleister, bei einer Versicherung und in einem Geschäft für Sport- und Outdoor-Ausrüstung hat er schon gearbeitet.

Das alles wollte Meurisch hinter sich lassen. „Es ging mir gut damit. Ich habe das gerne gemacht. Trotzdem dachte ich mir, dass es da noch was anderes geben muss“, blickt er zurück. Das „andere“ fand er im Laufen. Sowohl auf Marathonstrecken, als auch in den Rocky Mountains und 2009 für zwei Monate schon einmal auf dem Jakobsweg, auf rund 800 Kilometern Länge von der französisch-spanischen Grenze bis nach Santiago de Compostela.

Dreieinhalb Jahre von München nach Tibet

Das bisher größte Abenteuer sollte jedoch eine Reise zu Fuß von München bis nach Tibet werden. Im Frühjahr 2012 fing er damit an. Im Spätherbst 2015 erreichte er sein Ziel.

Über die Hälfte der rund 13.000 Kilometer lief der Dessauer konsequent zu Fuß. Durchquerte dabei unter anderem Österreich, Ungarn, Rumänien, die Türkei. Durch den Iran, Indien und Nepal ließ sich der Dessauer auch streckenweise als Anhalter mitnehmen. Fast für Lau bekam er seine kleine Weltreise. Meurisch setzte auf die Gastfreundschaft der Menschen, denen er begegnete oder arbeitete für Kost und Logis. Dabei reifte in ihm eine Erkenntnis „Je östlicher, desto gastfreundlicher“.

Wie es dem Weltenbummler auf dem Jakobsweg erging und was er über die Länder auf dem Weg gelernt hat

Ob das auch in der anderen Himmelsrichtung so problemlos klappt, da war er doch sehr skeptisch. Und trotzdem wollte der Weltenbummler, kaum zurück in der Heimat, genau das ausprobieren. Der Jakobsweg sollte es werden.

Vom Dessauer Rathausportal immer dem Südwesten bis zur Kathedrale von Santiago de Compostela entgegen. Madeleine Müller, eine 28-Jährige Lebensmitteltechnologie-Studentin aus Köthen, schloss sich dem Dessauer auf seiner Reise diesmal an.

Über die Bachstadt ging es mit 20 Kilo Gepäck auf dem Rücken und einigen großen Fragezeichen zunächst nach Hettstedt, nach Sangerhausen, über Eisenach bis nach Rheinland-Pfalz. Würden sie es fast ohne Geld schaffen, Deutschland zu durchqueren? Die Frage geisterte in den beiden Köpfen und fand recht schnell eine positive Antwort. „Wir waren dann doch sehr von der Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen auf unserem Weg überrascht“, erzählt Meurisch.

Die Gastfreundschaft überwältigte die Wanderer

Immer fanden sie eine Bleibe für die Nacht. Fast immer konnten sie in Bäckereien kostenlose Wegzehrungen ergattern. Wurden von Wildfremden zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Hörten lustige und traurige, sehr persönliche Geschichten. „Mein Bild von Deutschland hat sich auf dieser Reise sehr zum Positiven verändert“, sagt Meurisch. Die Reservierten, die Mürrischen, die Arroganten - sie alle, sind ihnen nicht begegnet.

Das deutsche Wandermärchen setzte sich in Frankreich fort. Auch ohne Französischkenntnisse schlugen sie sich fast vier Monate durch die Dörfer, Städte und Landschaften der Grande Nation, mit herzlichen Gastgebern, großzügigen Bäckereien und Fleischereien sowie persönlichen Gesprächen auf Deutsch oder Englisch.

Nachrichten von Terror und Gewalt machten ihnen keine Angst

Der Nachrichtenalltag war weit weg und holte sie doch immer wieder ein. Terror in Deutschland, Terror in Frankreich, manchmal war auch das ein Thema beim Abendessen. Misstrauen schürte das nicht. Den langen Bart stutzte der Dessauer dann aber doch vorsichtshalber.

Rund zwei Monate durchquerten Meurisch und Müller dann noch Spanien, wo sie häufiger auf Pilger aus aller Welt, als auf Einheimische trafen. Dann, am 13. Dezember, erreichten sie Santiago de Compostela. „Das war ein sehr emotionaler Moment“, erinnert sich Meurisch. Nicht, weil sie es endlich geschafft haben. „Im Vergleich zu meiner Reise nach Tibet war das ein Spaziergang“, kokettiert der Weltenbummler.

Nach fast fünf Jahren wandern legt Meurisch eine Pause ein

Auch ein Lebensabschnitt ging für ihn zu Ende. Nach fast fünf Jahren auf Reisen will er wieder sesshaft werden. Seit Anfang Januar bereitet Meurisch in Dessau seine Zukunft vor. Als Motivationstrainer will er in München arbeiten. Mit seiner Reisepartnerin könnte er sich eine WG in der bayerischen Landeshauptstadt vorstellen. Sie will dort ihr Studium fortsetzen. (mz)

Auf ihrer Pilgerreise zelteten die Wanderer.
Auf ihrer Pilgerreise zelteten die Wanderer.
Privat
Auf ihrem Weg erfuhren die Pilgerer viel Gastfreundschaft.
Auf ihrem Weg erfuhren die Pilgerer viel Gastfreundschaft.
Privat
Stephan Meurisch und Madeleine Müller wanderten auf dem Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela.
Stephan Meurisch und Madeleine Müller wanderten auf dem Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela.
Privat