Roßlau Roßlau: Penny geht und keiner kommt

rosslau/MZ - Gemunkelt wird es bereits seit langem im Städtchen, jetzt sind die Plakate an Ladentür und -scheiben groß und unübersehbar: Der Penny-Markt in Roßlau-Waldesruh schließt seine Pforten am 14. Dezember.
Die Unternehmenskommunikation (Pressestelle) der Rewe-Group in Köln vermittelt Nachfragende weiter an die Beauftragten für die Penny-Märkte in Ostdeutschland, ansässig im sächsischen Ketzerbachtal. Doch auch dort kann die Pressesprecherin nur den Termin für die Schließung bestätigen. Von einer etwaigen Nachnutzung des Marktes sei Penny nichts bekannt, „wir sind ja hier auch nur Mieter im Objekt“.
Der Gedanke an den „Feierabend“ in zweieinhalb Wochen treibt insbesondere die Bewohner und Mitarbeiter der „Lebenshilfe“ um. Die Lebenshilfe hat in direkter Nachbarschaft (Waldesruh 9a) ihr Quartier. Hier erhalten die Betreuten eine Berufsbildung, hier arbeiten sie in der Verpackung/Komplettierung, in der Tischlerei, Druckerei oder Wäscherei/Näherei. Zudem bietet die Lebenshilfe verschiedene Wohnformen an, betreut Wohnheime im Kiefernweg (38 Plätze) und Lärchenweg (20) sowie das intensiv betreute Wohnen im „Haus Waldhorn“, einem umgebauten Hotel (9 Plätze). Allesamt gelegen in Werkstatt- und Stadtnähe.
Die Lebenshilfe Roßlau, gegründet 1990 in Rotall, ist ein gemeinnütziger Verein und bietet über 230 Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung ein breites Spektrum an Leistungen. Neben der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), dem Berufsbildungsbereich und verschiedenen Wohneinrichtungen sowie der Tagesbetreuung von Erwachsenen mit Schwer- und Schwerstbehinderung in der Fördergruppe, werden auch Altersrentner mit geistiger Behinderung betreut. Aufgaben sind Beratung, Unterstützung und Förderung von Menschen mit Behinderung als Hilfe zur Bewältigung ihres Alltags und zur Teilnahme am Leben in der Gesellschaft.
Gerade diese enge Verbindung zwischen Wohnung, Arbeitsstätte und städtischer Nahversorgung hat die Lage für die Lebenshilfe so attraktiv gemacht. 2002 zog die Werkstatt für behinderte Menschen aus der Waldeinsamkeit von Rotall zwischen Roßlau und Klieken endgültig in den fertigen Neubau im Osten der Stadt. Die Bedeutung des Marktes für die Behinderten schätzt Ronald Kitzing hoch ein. Seit 1990 für die Lebenshilfe tätig und in der Werkstatt für behinderte Menschen angestellt, weiß er um die Bedeutung der alltäglichen Integration für weitestmöglich selbstbestimmtes Leben. Und es sei durchaus nicht so, dass sich seine Schützlinge im Markt nur Süßigkeiten oder Kaugummis holen.
„Hierher können sie ohne großen Aufwand, ohne Auto und zum Teil auch ohne Begleitung einkaufen gehen. Bekommen alles, was sie für die Grundversorgung brauchen. In der Werkstatt bekommen wir eine Mittagsversorgung, ihren Wochenendeinkauf erledigen die Behinderten mit ihren Betreuern selbst.“ Unter dem Penny-Dach waren auch noch eine Filiale der Fleischerei Andes und ein Second- Hand-Laden vertreten, nebenan gibt es noch einen Getränkehandel. Dass Penny jetzt geht, sei sehr schade, bedauert auch Christina Hensel. Sie hat im Herbst 2013 die Geschäftsführung der Lebenshilfe übernommen. Die Integration der Behinderten mit Teilnahme am öffentlichen Leben im Wohngebiet verliere eine Säule.
Das Problem hat längst auch schon den Ortschaftsrat Roßlau beunruhigt. Würde der Markt nach Pennys Auszug leerbleiben, sieht Ortsbürgermeisterin Christa Müller ein großes Problem auf die Ortschaft zurollen: Der Lebensmitteldiscounter ist im östlichen Ortsteil jenseits von Innenstadt, Nordstraße (NP-Markt) und Rosselufer der letzte „Nahversorger“. Zu Fuß und mit dem Rad gerade auch für die ältere Generation gut zu erreichen. Am östlichen Stadtrand ist, neben dem Gewerbegebiet Ost auf dem Gelände der einstigen „Mozartkaserne“, in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein kompaktes Wohngebiet gewachsen. Nach der Wende entstand in Waldesruh 1992 das erste große Roßlauer Wohnungsbauvorhaben der „Neuzeit“, zogen im August 1994 nur zwei Jahre später 50 Familien in die neue Reihenhaus-Eigenheimsiedlung. In Waldesruh mit den bildhaft-namensgebenden Straßen Akazienweg, Lärchenweg, Buchenweg und Birkenweg lebt es sich gut und schön.
„Es wäre für Roßlau und seine Bürger eine Katastrophe, wenn jetzt der Markt ohne Nachnutzer bliebe“, sagt Ortsbürgermeisterin Müller. In der Vorwoche noch war sie voller Hoffnung. „Da ist Bewegung drin, auch die städtische Wirtschaftsförderung sucht nach einer Nachnutzung.“
Das hat sie seit Sommer 2013 getan. Hielt seit Juni schon mit dem Verwalter des Objektes den Kontakt und hat mit namhaften Unternehmen der Lebensmittelversorgung über eine mögliche Nachnutzung des Objektes gesprochen. „Das waren nicht zwei oder drei, sondern wirklich alle landauf, landab Bekannten. In der Summe acht“, antwortet Stadtsprecher Carsten Sauer auf MZ-Nachfrage. Das Ergebnis aber war achtmal das gleiche und traurig: Nämlich keins. In den Gesprächen mit den Unternehmen habe sich zweierlei herauskristallisiert, was für die Handelsketten aus betriebswirtschaftlicher Sicht gegen die Nachnutzung spreche, fasste Sauer zusammen. Das sei erstens der dem demografischen Wandel folgende Einwohnerrückgang, sprich Kundenverlust. Und zweitens hätte das Objekt eine vergleichsweise geringe Verkaufsfläche für entsprechenden Umsatz. Diese Argumente habe das Amt für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Marketing in allen Gesprächen gehört. Und keine Möglichkeiten, direkt in das Verfahren einzugreifen.
Kurzum: Zieht im Dezember der Penny-Markt aus, wird es keine Schlüsselübergabe an einen Nachmieter geben. Ist das Kind damit in den Brunnen gefallen, ertrunken und vergessen? „Nein. Aber man dürfe nach jetziger Lage der Dinge auch keine falschen Hoffnungen wecken“, so Stadtsprecher Sauer. Die städtische Wirtschaftsförderung habe das Objekt Waldesruh weiter auf dem Zettel und werde den Standort bei Ansiedlungsanfragen von Lebensmittelhändlern weiter anbieten.