Puppendoktor in Dessau Puppendoktor in Dessau: Wenn der Teddy Rheuma hat

Dessau/MZ - „Früher stand man wegen Bananen an und heute stehen die Leute vor meiner Praxis“, erzählt Günter Geier belustigt. Begehrt ist die Sprechstunde bei dem Arzt - der so gesehen gar keiner ist. Der 73-Jährige ist selbst ernannter Puppendoktor und hat sich auf die Heilung von Porzellan-, Celluloid- und Pappmachépuppen sowie Teddybären aller Art spezialisiert.
Seit mehr als 50 Jahren ist der Bamberger im Geschäft und kennt sich mit allen typischen Krankheiten seiner speziellen Patienten aus: „Sie sind meist etwas älter und leiden an Rheuma und Leistenbrüchen.“ So jedenfalls die Diagnose von Geier, wenn die Gummis an den Gelenken der Puppen wackeln. Sogar einen Schädelbasisbruch kann er in Ordnung bringen. Den sieht er oft - „wenn dem Enkel die Puppe mal runter fällt.“ Dann muss er „Löcher kleben“ mit hautfarbenem Flüssigcelluloid, welches er Schicht für Schicht aufträgt.
Um seinen Patienten heilen zu können, hat Geier über die Jahrzehnte Ersatzteile ohne Ende gesammelt. In seiner mobilen Praxis gibt es 15 000 Stücke zum Auswechseln, darunter 10 000 Augen und fast 400 Perücken, Beine, Arme, Hände, Köpfe. Der Doktor ist Experte und behauptet stolz, dass er alle Puppenarten kenne - obwohl er eigentlich Lokomotivführer werden wollte.
Vielleicht haben ihn seine fünf Schwestern bei der Berufswahl beeinflusst. In seiner Jugend waren Puppendoktoren nicht selten, weil die Puppe ein beliebtes Spielzeug war. So entschied sich Geier für ein Praktikum bei einem Puppendoktor und machte sich anschließend selbstständig. Heute ist sein Handwerk vom Aussterben bedroht. Als Spielzeug verlieren Puppen an Attraktivität gegenüber „technischem Firlefanz“. Deshalb schließen nicht nur Puppenmanufakturen, auch Doktoren finden keine Nachfolger. Dabei handelt es sich bei seiner Tätigkeit um eine kleine Goldgrube. Nachfrage besteht eindeutig, weil den Kunden viel an ihren Puppen liegt: „Das sind Liebhaber- und Sammlerstücke mit großem emotionalen Wert.“ Das fange beim Teddy aus Kindertagen an und ende mit Kostbarkeiten wie dem Kaiserbaby.
Der Puppendoktor ist mit seinem Truck noch bis einschließlich Sonnabend von 9 bis 18 Uhr am E-Center in der Ernst-Zindel-Straße 4.
Die Puppennachbildung des letzten Kaisers Wilhelm ist ein beliebtes Sammlerstück, weil Wilhelm sein Ebenbild zu Lebzeiten vernichten ließ. Manche überlebten, und so bekam Geier eine Kaiserpuppe mit Rheuma, deren Wert er auf 17 000 Euro schätzt. Mit der „Heilung“ mache er seine Kunden glücklich. Er verstehe seine Kunden, denn auch er findet, dass Puppen etwas „Lebendiges“ an sich haben. Nur Barbies mag er nicht, weil sie zu dünn sind. „Die kann man nicht lieb haben.“
Seit mehreren Jahren sucht er händeringend nach Nachfolgern. Derjenige könnte wie Geier einst die Kunst des Puppenrestaurierens in einem Praktikum erlernen. Doch welche Voraussetzungen braucht ein angehender Puppendoktor? „Er sollte Fingerspitzengefühl haben und handwerklich begabt sein.“ Denn im Arztkoffer liegen Zange, Feile und Schere. Geier ist auf Abschiedstournee durch Österreich und Deutschland. Mit 65 hätte er schon in den Ruhestand gehen können, „doch jemand muss die Praxis aufmachen!“