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Premiere im Anhaltischen Theater Premiere im Anhaltischen Theater Dessau: Das Dschungelbuch zeigt seine politische Seite

Von Johannes Killyen 28.11.2016, 13:00
Am Samstag feierte das Weihnachtsmärchen im Großen Haus Premiere.
Am Samstag feierte das Weihnachtsmärchen im Großen Haus Premiere. Anhaltisches Theater

Dessau - Märchen gehen gut aus, doch der Weg dahin ist oft düster und alles andere als harmlos. Das gilt auch für das neue Weihnachtsmärchen am Anhaltischen Theater, in dem Autorin Simone Sterr Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ auf wunderbare Weise neu erzählt.

Eine richtig schöne Geschichte ist das und doch noch viel mehr – ein tagesaktuelles Drama, beißende Parodie, artistisches Tanztheater, Familienkomödie und Musical mit eigens komponierten Ohrwürmern von Jojo Büld. Samstag war Premiere im Großen Haus.

Inszenierungen von Disney in den Köpfen der Zuschauer

Für Regisseur Ralf Siebelt und Bühnenbildner Jürgen Lier galt es dabei, zunächst den Sehgewohnheiten des Publikums entgegen zu treten. Denn der omnipräsente Walt-Disney-Film und erst recht die neu animierte Kinoversion setzen der Ausgestaltung der Charaktere keine Grenzen.

Auf der Bühne treffen naturgemäß Menschen aufeinander, die die Eigenheiten ihrer Figur durch Schauspielkunst und Inszenierung wettmachen müssen. Da ist Mogli (Andreas Hammer) eigentlich größer als Balu (Gerald Fiedler) und wird doch von einem Schulterklopfer des Bären auf die Bretter geschickt.

Der Panther Baghira (Margarita Wiesner) ist klein, zierlich und – eine Frau! Oberst Hati (Karl Sebastian Liebich) muss ohne seine Elefantenarmee auskommen und trägt den Rüssel wie ein Saugrohr vor sich her.

Das Dschungelbuch wird politisch

Besonders spannend ist aber, wie Simone Sterr der Handlung ohne allzu große Eingriffe eine neue Richtung gibt. Da wird das Stück dann urplötzlich so politisch, dass einem das Lachen gefriert.

Wie in der Vorlage wird der Menschenjunge Mogli von einem (hinreißend heulenden!) Wolfsrudel aufgezogen, gewinnt Baghira und Balu als Freunde, muss aus den Händen der Affen (die in chronischer Demenz jeden Satz wieder vergessen) befreit werden, während über allem der drohende Schatten Shir Khans schwebt, der als maskierter Fantasykrieger (Stephan Korves) auftritt.

Doch anders als bei Kipling wird Mogli nicht zur eigenen Sicherheit zu den Menschen zurückgeschickt. Er flieht unter dem Eindruck, in der Welt der Tiere nicht mehr dazuzugehören.

Immer deutlicher wird im Laufe des Abends: Er ist ein Flüchtling auf der Suche nach Identität und Lebenssinn. Plötzlich wendet sich das Wolfsrudel, in dem er aufgewachsen ist, gegen ihn. Shir Khan nimmt Einfluss auf die Tiere des Waldes als demagogischer Warlord.

Und Wutbürger Hati macht mit, weil ihm endlich jemand zuhört. Als die Wölfe freilich gegen die Wolfsmutter und auch Ziehmutter Moglis (Christel Ortmann) aufbegehren und sich „einen starken Anführer statt Mutti“ wünschen, wird es ein wenig viel mit der Aktualität.

Songs, die im Gedächtnis bleiben

Schlüssig ist die Geschichte aber zweifellos, wie Mogli zu den Menschen zurückkehrt und dort neben seiner richtigen Mutter auf eine Familie stumpfsinniger Waffenfanatiker und Tierhasser trifft. Kein Zuhause, nirgends. Zum Showdown mit Shir Khan geht er wieder in den Dschungel.

Der Rest wird nicht verraten. Wohl aber, auf welch grandiose Weise die Inszenierung einer Nebenfigur neues Profil verleiht: Clara Groeger, eine perfekte Akrobatin und ebenso überzeugende Schauspielerin, windet sich in atemberaubender Weise um Stangen und Menschen und darf mit ihrem Hypnoseblick Mogli aus dem Affengefängnis befreien. Vor allem jedoch zelebriert sie die unendliche, alles verschlingende Liebe.

Das Dessauer „Dschungelbuch“ lebt natürlich auch von einem tropisch flirrenden Bühnenbild und der Musik von Jojo Büld, die in den instrumentalen Teilen sehr atmosphärisch, indisch-orientalisch daherkommt.

Seine Songs im Musical- und Hip-Hop-Sound drängen sich zunächst nicht auf - auch weil auf der Bühne Schauspieler und keine Profisänger stehen. Doch gewinnen sie immer mehr an Präsenz. Wie man hört, trällert sie mittlerweile das halbe Theater.

Auch Dank einer CD, die im Theater verkauft wird, ist anzunehmen, dass die Lieder bis Weihnachten und darüber hinaus in Dessau Kreise ziehen werden. „Ich bin einer von euch“ singt vergnügt das Ensemble. Ein Happy End für das Weihnachtsmärchen. (mz)

Akrobatik , Schauspiel und Gesang
Akrobatik , Schauspiel und Gesang
Anhaltisches Theater