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Premiere im Alten Theater Dessau Premiere im Alten Theater Dessau: Aus dem Leben gegriffen

Von Ute König 30.09.2015, 11:45
Die Schauspieler Katja Sieder, Christel Ortmann, Oliver Seidel, Stephan Korves und Sebastian Müller-Stahl (v. li.) spielen Elfriede Jelinek.
Die Schauspieler Katja Sieder, Christel Ortmann, Oliver Seidel, Stephan Korves und Sebastian Müller-Stahl (v. li.) spielen Elfriede Jelinek. Claudia HEysel Lizenz

Dessau - Zwar auf der kleinen Bühne im Alten Theater, aber doch mit großem Stoff begrüßt das Schauspielensemble des Anhaltischen Theaters am Freitagabend das Publikum in der neuen Spielzeit. Christel Ortmann, Katja Sieder, Stephan Korves, Sebastian Müller-Stahl und Oliver Seidel spielen „Winterreise“ von Elfriede Jelinek, eines der meistgespielten zeitgenössische n Theaterstücke in Deutschland.

Aktuelle Fragen und Probleme

„Das Stück ist für die große Bühne geeignet, passt aber auch auf eine kleinere“, sagt Sebastian Müller-Stahl. Es wird eben etwas kuscheliger und intimer. Und vielleicht unterstützt das noch ein wenig mehr die Intention der Inszenierung. „Winterreise“ wurde im Jahr 2011 veröffentlicht. Literaturnobelpreisträgerin Jelinek verarbeitet darin eine Vielzahl an Themen und vor allem Problemen der modernen Gesellschaft. Es geht um den Umgang mit Alzheimer und Demenz, die Entstehung einer öffentlichen Meinung um Beziehungen und Liebesbeziehungen in Zeiten des Internets und um die Bedeutung von Zeit überhaupt. Auch Biografisches und sehr Persönliches hat Jelinek verarbeitet, so spielt der Verlust der Mutter eine große Rolle und auch der große Selbsthass. Viele Fragen werden aufgeworfen, die früher oder später jeden Einzelnen betreffen. „Wir liefern aber keine Antworten“, sagt Stephan Korves. Vielmehr soll die Inszenierung, für die kurzfristig Ralf Siebert die Regie übernommen hat, zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Und das haben die fünf Schauspieler im Vorfeld und während der Proben auch selbst viel getan. Um ein Theaterstück im klassischen Sinne handelt es sich bei „Winterreise“ nämlich nicht. Statt Dialogen liegt ein Prosatext vor. Als Textfläche bezeichnet es Dramaturgin Almut Fischer. Und diese musste von den Schauspielern zunächst einmal entschlüsselt werden. Bevor es ans Lernen des Textes ging, ging es ums Verstehen. Gerade das sei bei „Winterreise“ eben nicht unbedingt einfach.

Labyrinth der modernen Zeit

Ähnlich wie Elfriede Jelinek in ihrem Text durch ein Labyrinth der modernen Zeit wandert, war der Arbeitsprozess der Darsteller eine Suche nach dem richtigen Weg, diesen Text schauspielerisch umzusetzen. „Man muss sich über den Text sehr viel im gemeinschaftlichen Gespräch austauschen“, betont Christel Ortmann. Deutlich mehr als sonst. „Man muss sich in dieser Textfläche zu Hause fühlen“, so Ortmann. Jeder einzelne der Schauspieler musste herausfinden, was die Fragen und Probleme für sich bedeuten. „Jeder hat da natürlich einen anderen Erfahrungsbereich“, sagt Sebastian Müller-Stahl. Am Ende galt es, dennoch eine einheitliche Haltung zu finden.

Denn auch die klassisch aufgeteilten Rollen gibt es nicht. Die Grundidee einzelner Figuren gebe es. Das Ensemble agiere im Großen und Ganzen jedoch wie ein Chor, in dem jeder Einzelne ein Teil zu einem sinnlichen und verständlichen Ganzen beiträgt. Wie genau das am Ende auf der Bühne aussieht? „Das schaut man sich am besten an“, sagt Katja Sieder.

Mit Humor

So verkopft das ganze aufs Erste auch klingen mag, die Zuschauer erwartet im Ergebnis eine echte Jelinek-Inszenierung. „Es gibt den typisch ironischen Unterton“, sagt Dramaturgin Almut Fischer und versichert, dass man auch lachen könne. An vielen Stellen seien die Themen voll aus dem Leben gegriffen. „Einige Situationen wird man vielleicht selbst wiedererkennen“, so Fischer.

Und für Dessauer lohnt ein Besuch von „Winterreise“ gleich umso mehr: Jelinek orientierte sich für ihren Text an Franz Schuberts gleichnamigem Liederzyklus, der für diesen Gedichte des Wilhelm Müller verarbeitet hat. Einige Zeilen des Dessauer Dichters werden auch in Jelineks Werk zitiert. (mz)