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„CDU hat ein Mobilisierungsproblem“ Parteibuch als Manko? - Politikpsychologe Kliche analysiert OB-Wahl in Dessau-Roßlau

Von Daniel Salpius 30.06.2021, 18:29
Dass Robert Reck seinen Kontrahenten Eiko Adamek so deutlich abhängen konnte, hat überrascht, doch es gibt Gründe.
Dass Robert Reck seinen Kontrahenten Eiko Adamek so deutlich abhängen konnte, hat überrascht, doch es gibt Gründe. (Foto: Thomas Ruttke)

Dessau-Rosslau/MZ - Zwei bekannte Gesichter der Stadtpolitik, einer Stadtrat, einer Beigeordneter in der Verwaltung. Beide mit engagierten Wahlkämpfen und beide mit ähnlichen Rezepten für die Zukunft Dessau-Roßlaus. Die Ausgangslage ließ ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen erwarten. Es kam anders. Mit 73,9 Prozent triumphierte am Sonntag im zweiten Wahlgang der OB-Wahl überdeutlich der parteilose Verwaltungskandidat Robert Reck und deklassierte damit den CDU-Bewerber Eiko Adamek. Wie ist das zu erklären?

Natürlich gibt es persönliche Unterschiede. Als hoher Beamter und Akademiker habe Reck in Sachen Verwaltungserfahrung sicher etwas mehr Vertrauen bei den Wählern genossen, sagen Unterstützer. Adamek habe lange genug als Stadtrat hinter die Kulissen geblickt, sagen andere. Der 48-jährige CDU-Mann ist zudem rhetorisch bürgernäher, formuliert knapper und geradliniger. Reck wiederum ist leiser, bescheidener. Adamek hat in den letzten Jahren viele Hände geschüttelt und sich als Kümmerer inszeniert. Reck warf dagegen erst spät seinen Hut als neues Stadtoberhaupt in den Ring, legte dafür aber einen sehr professionellen und auch finanzstarken Wahlkampf hin. Ob sich aber allein aus diesen Differenzen ein so haushoher Sieg für den 37-Jährigen ergibt, scheint fraglich.

CDU-Mitglied Eiko Adamek bekommt gegenüber dem ersten Wahlgang sogar 2.500 Stimmen weniger

Der Politik- und Gesellschaftspsychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal macht den Grund für den großen Abstand in erster Linie an Eiko Adameks Parteibuch fest. „Die CDU hat ein Mobilisierungsproblem. Zumindest, wenn nicht Ministerpräsident Reiner Haseloff oder die Abgrenzung zur AfD die Wähler ziehen wie zuletzt bei der Landtagswahl“, analysiert Kliche. Die Ergebnisse seien typisch für Sachsen-Anhalt. Das könnte auch erklären, warum Adamek in der Stichwahl sogar über 2.500 Stimmen zum ersten Wahlgang einbüßen musste. Während er am 6. Juni vom starken Ergebnis der Landes-CDU mitprofitiert haben dürfte, blieben viele dieser Wähler bei der Stichwahl nun offenbar weg.

Das Problem sei aber nicht allein die CDU, sondern Parteien im Allgemeinen. Der Wissenschaftler attestiert den Sachsen-Anhaltern in Bezug auf die Parteienpolitik gar eine „resignierte Apathie“. „Die Leute assoziieren Parteien mit Opportunismus, undurchschaubaren Prozessen und Unzuverlässigkeit.“ Ursache dafür seien die Folgen der Wiedervereinigung. Statt sozialer Marktwirtschaft, hätten die Menschen Neoliberalismus - also Turbokapitalismus - bekommen. „Dazu kommt bei vielen das Gefühl, wählen zu können, wen man will, und immer wieder dasselbe zu bekommen“, so Kliche.

Dieser Politik-Frust führe zu vermehrter Nicht-Wahl, „weil die Menschen nicht glauben, dass Politik etwas verändert“. Für Kliche ist das auch die Erklärung dafür, das die Wahlbeteiligung in Dessau-Roßlau mit 30,3 Prozent derart gering ausgefallen ist.

Und auch das könnte Reck - neben seinem strategisch klugen Parteiaustritt bei der SPD - in die Karten gespielt haben. Denn sein offenkundigstes Handicap hat das womöglich abgefedert: Als Beigeordneter machen ihn Konkurrenten für das Verwaltungshandeln der letzten Jahre unter Noch-OB Peter Kuras direkt mit verantwortlich. Dessen Zustimmungswerte hatten etwa unter dem Hotelneubau am Schloßplatz zuletzt gelitten. Die Verwaltung im Allgemeinen wird von den Bürgern oft wahlweise mit Trägheit oder Willkür assoziiert. Eiko Adamek versuchte diesen gefühlten Verwaltungsfrust mit seinem Wahlspruch „mal machen“ auch für sich zu mobilisieren. Dass das nicht klappte, könnte Kliche zufolge damit zusammenhängen, dass die Gefrusteten eben einfach nicht wählen gingen.

Eiko Adamek rätselt: „Vielleicht sind die Leute schlicht zufriedener, als man denkt“

Adamek selbst hat eine andere Erklärung parat: „Vielleicht sind die Leute schlicht zufriedener, als man denkt“, sagte er auf Nachfrage. Ob er im Wahlkampf mehr auf Versäumnisse in Recks Arbeit als Beigeordneter hätte eingehen müssen, denkt er auch wenige Tage nach seiner Wahlniederlage nicht. „Wenn wir das versucht haben, hat das niemanden wirklich angehoben“, begründete er.

Auf Robert Reck kommen nun nicht nur die Herausforderungen des Amtes zu, wegen der niedrigen Wahlbeteiligung startet er laut Politikpsychologe Kliche auch mit einem Legitimationsproblem. Von den 66.752 wahlberechtigten Bürgern haben ihn nur 14.856 gewählt - rund 22 Prozent. „Ihm wurde mit der Wahl Autorität zugesprochen. Sich diese zu erarbeiten, hat er jetzt erst noch vor sich“, formuliert es Kliche.