Neuerscheinung Neuerscheinung: Roßlauer stürmten Rathaus
Zerbst/MZ/cb. - Der in dieser Woche erschienene "Zerbster Heimatkalender 2003" kommt gleich mit zwei Ausnahmen daher: Die ehrenamtliche Redaktion unter Leitung des Zerbster Museumsleiters Heinz-Jürgen Friedrich erweiterte wegen der Fülle des Materials den Umfang von 168 auf 224 Seiten, und das Heft beginnt zum ersten Mal seit 44 Jahren nicht mit einem Beitrag über Zerbst, sondern über Roßlau. Thema ist der Volksaufstand in der DDR vor 50 Jahren am 17. Juni 1953. Während an jenem Tag in der Elbestadt Tausende demonstrierten, blieb es in der Kreisstadt Zerbst zum großen Teil ruhig.
Die Demonstrationen nahmen in Roßlau in der Schiffswerft ihren Ausgang, schreiben die Autoren Alois und Klemens Koschig. Es schlossen sich Streikende aus dem Elbewerk und dem WTZ an. Zusammen marschierten die Arbeiter zum Rat der Stadt, zum Volkspolizei-Kreisamt und zur SED-Kreisleitung. Aus dem Gefängnis wurden die Inhaftierten befreit. Russische Panzer erstickten den Aufstand jedoch schnell.
Wie er den 17. Juni 1953 erlebte, schildert im Anschluss Hans Sanftenberg, der in jener Zeit in Roßlau Inhaber einer Spedition war.
Darüber, wie die Bauern im Landkreis Zerbst in den 50er Jahren unter hohen Abgaben und der Behördenwillkür litten, berichtet Landwirt Fritz Böttge aus Nutha. Nach ihrem Bericht über Anhalt-Zerbster in sowjetischen Straflagern in der vorigen Ausgabe des "Zerbster Heimatkalenders" enthüllt Annemarie Lüdicke diesmal die Willkür der sozialistischen Justiz in den Nachkriegsjahren. Ihr fielen neben anderen Werner Niemann aus Zerbst und Albrecht Gessler aus Möckern zum Opfer, die beide mit widersinnigen Begründungen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Aus eigenem Erleben schildert der Coswiger Gerhard Fechner, wie er als 16-jähriger verhaftet und 1947 in ein Straflager nach Kasachstan deportiert wurde. Sein Schicksal teilten Albert Großkopf aus Deetz, Kurt Kilian aus Roßlau, Theodor Quilitzsch, Wilhelm Ließ und Karl Rauchfuß aus Coswig.
Sein 200-jähriges Jubiläum begeht 2003 das Gymnasium Francisceum am Weinberg in Zerbst. Wie durch ein Wunder sei das ehemalige Franziskanerkloster am 16. April 1945 nicht Opfer der Brandbomben geworden, schrieb der damalige Rektor Dr. Franz Münnich. Die Hintergründe dieses "Wunders" klärt Herbert Neumann auf, der damals mit einigen verwundeten Soldaten auf dem Dachboden des Francisceums gegen den brennenden Phosphor kämpfte.
Dem Thema "Schulgeschichte" widmen sich drei weitere Beiträge: Heidemarie Grzech hat die Geschichte der ehemaligen katholischen Schule in Coswig erforscht, Walter Hackemann schildert den Unterricht in den Anhalt-Zerbster Dorfschulen sowie das harte Leben der Lehrer dort und der 1952 verstorbene Albert Puppe hat die schmerzhafte Handschrift so manches Lehrers der Bürgerschule und des Francisceums in Zerbst auf dem eigenen Hintern gespürt.
Die 34 Beiträge von 25 Autoren beschränken sich keineswegs auf bierernste Themen. Neben äußerst gründlich recherchierten Dokumentationen über die Steinmühle in Düben (Karl-Heinz Düben), die Bockwindmühle in Köselitz (Klemens Koschig) und den "nackten Mann auf dem Heidetorfriedhof" in Zerbst (Rainer Frankowski) wartet der Zerbster Heimatkalender mit manch amüsantem Histörchen auf. "Der Capri-Fischer von Zerbst" von Reinhold Specht, der "Maskenball im Goldenen Löwen" und "Im Hemd auf dem Heimatfest" von Helmut Hehne sowie "Vielleicht gestreift" von Margarethe Schwaedt sorgen sicher für manches Lachfältchen. Ausgewählte Volksfeste und Veranstaltungen in Anhalt-Zerbst, die Chronik des Landkreises der Jahre 2000 und 2001 sowie Gedenktage der Städte Zerbst und Roßlau vervollständigen die lehrreiche und unterhaltsame Broschüre.
Der "Zerbster Heimatkalender 2003" ist in Buchhandlungen, der Stadtinformation und zahlreichen weiteren Geschäften unter anderem in Zerbst, Roßlau, Coswig und Dessau erhältlich.
Zerbster Heimatkalender 2003, Verlag Extrapost Zerbst, 224 Seiten, 4,50 Euro, ISBN 3-9807104-6-7