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Neuer Polizeichef im Interview Neuer Polizeichef in Dessau-Roßlau: "Kriminalität im Zentrum ist weniger aber sichtbarer"

15.12.2017, 08:41
Roger Schuberth
Roger Schuberth Sebastian

Dessau-Roßlau - Das Dessau-Roßlauer Polizeirevier hat mit dem 42-jährigen Roger Schuberth einen neuen Chef. Für ihn ist es eine Rückkehr in die Heimat. Und eine neue Phase von Offenheit und Transparenz. Mit Beginn seiner Amtszeit haben sich im Stadtzentrum gleich drei schwere Straftaten ereignet, die in der Bevölkerung Verunsicherung auslösten.

Migranten hatten sich gegenseitig mit Messern bedroht und verletzt. Im Interview mit MZ-Redakteurin Lisa Garn spricht Schuberth über seine Anfänge als 14-Jähriger bei der Dessauer Polizei, über Zahlen zur Kriminalität auch bei Ausländern und die aktuellen Ereignisse im Fall Oury Jalloh.

Herr Schuberth, Sie sind seit wenigen Wochen im Amt - als dritter Leiter in nur eineinhalb Jahren. Was für ein Revier haben Sie übernommen?
Roger Schuberth: Ein sehr professionelles, sehr motiviertes. Für mich ist es wie eine Rückkehr zu den Wurzeln: Dessau ist meine Heimatstadt, ich habe 35 Jahre hier gelebt. Ich wollte immer Polizist werden, mit 14 Jahren war ich als Schülerpraktikant im Polizeirevier Dessau.

Meine Mutter hat als Polizistin im Revier gearbeitet. Viele Kollegen kenne ich aus der Zeit meiner Praktika und meinen vorherigen Stationen. Das macht vieles einfacher.

Der Sparkurs des Landes bei der Polizei hat lange zu einem Personalabbau in den Revieren geführt. Auch in Dessau-Roßlau beklagen Bürger, die Polizei sei zu wenig präsent, brauche zu lange zum Einsatzort. Wie dünn ist denn die Personaldecke?
Schuberth: Manches müssen wir straffen. Die Verkehrsüberwachung konnten wir nicht mehr so intensiv betreiben, bei der Präventionsarbeit machen wir hier und da Abstriche. Das sind aber Dinge, die der Bürger eigentlich nicht spürt.

Es gibt über 150 Mitarbeiter in den Bereichen Kriminalpolizei, Schutzpolizei, Verwaltung und Zentrale Aufgaben. Gravierende Missstände sehe ich nicht: Wir machen unsere Arbeit, sehr engagiert und gewissenhaft. Die Polizei ist in allen Schwerpunktgebieten präsent. Losgelöst vom Einsatzgeschehen, gibt es acht Regionalbereichsbeamte. Sie sind Ansprechpartner für die Bevölkerung und für uns die Fühler in die Stadt. Das hat sich etabliert.

Trotzdem ist die Personalausstattung schwierig. Wann ist die Talsohle durchschritten?
Schuberth: Das wird dauern. Es werden wieder mehr Polizisten eingestellt. Aber die sind im Moment in Ausbildung an der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben und erst in zwei bis drei Jahren fertig.

Wichtig bleibt, dass wir die Funkwagen besetzt bekommen - und das ist jederzeit der Fall. Zusätzliche Hilfe bekommen wir bis dahin von Wachpolizisten - seit Dezember sind vier Kollegen im Einsatz, die sich um die Verkehrsüberwachung kümmern.

Schuberth: Zahl der Straftaten in Dessau-Roßlau ist insgesamt rückläufig

Wie beurteilen Sie die Kriminalitätslage in der Stadt? Mehrere schwere Straftaten in kurzer Zeit im Zentrum haben Ängste und Unsicherheit in der Bevölkerung ausgelöst.
Schuberth: Nach solchen öffentlichkeitswirksamen Vorfällen besteht immer ein größeres Sicherheitsbedürfnis. Die Zahlen widersprechen aber der gefühlten Lage. Bis Oktober 2017 gab es rund 6.730 Straftaten in Dessau-Roßlau. Im vergangenen Jahr waren es im selben Zeitraum etwa 7.550.

Es gibt also einen Rückgang um über 800 Fälle, das ist für Dessau-Roßlau erheblich. Auch bei der Straßenkriminalität, also den Fällen, die im öffentlichen Raum stattfinden, wie Raub, Diebstahl und Körperverletzung, sind die Zahlen deutlich rückläufig. Es sind 1.320 Fälle in diesem Jahr und 1.630 im vergangenen.

In nur drei Wochen ereigneten sich drei schwere Straftaten im Stadtzentrum, bei denen sich Migranten gegenseitig angriffen - auch mit Messern. In der Muldstraße, am Rande des Weihnachtsmarktes und am Rathaus-Center in der Kavalierstraße gab es Verletzte. Ist die Ausländerkriminalität in der Stadt gestiegen?
Schuberth: Die Zahlen decken diese Vermutung nicht. Fakt ist, dass solche Auseinandersetzungen, die auf offener Straße stattfinden und jeder sehen kann, auch größere Aufmerksamkeit bekommen.

Fakt ist aber auch: Die prozentuale Beteiligung von nichtdeutschen Tatverdächtigen bei normalen Straftaten liegt bei 13 Prozent, bei der Straßenkriminalität bei 14 Prozent. Diese Zahlen spiegeln das subjektive Empfinden also nicht. Es sind besondere Fälle, das stimmt. Aber auch Deutsche machen so etwas.

Kriminalität im Zentrum von Dessau hat sich verlagert und wird nun sichtbarer

Rund um das Rathaus, am Center und in der Kavalierstraße scheinen sich Gruppen gebildet zu haben, die Ärger suchen. Hat sich das Zentrum zu einem Brennpunkt entwickelt?
Schuberth: So weit würde ich nicht gehen. Aber es gibt tatsächlich eine Cliquen-Struktur von Migranten, etwa 15 bis 20 Personen, die auffallen. Sie sind zwischen 16 und 25 Jahre, oft aggressiv und respektlos. Es ist nicht einfach, damit umzugehen - auch für die Polizei nicht.

Es hat zum Beispiel Auswirkungen auf die Eigensicherung der Beamten. Wir versuchen immer, zuerst über ein Gespräch zu deeskalieren. Wir wollen besonders professionell mit Menschen umgehen, kulturelle und soziale Hintergründe berücksichtigen und einfühlsam vorgehen. Daraus ergibt sich oft ein Wandel der Situation - weil die Gesprächsführung vieles entscheidet.

Hat sich das Geschehen verlagert? Sonst gab es die Probleme vor allem im Stadtpark.
Schuberth: Es ist Winter, im Park und auf der Kavalierstraße wird gebaut. So verschiebt sich das Geschehen mit diesen Gruppen vor allem gegen Abend in Richtung Zentrum - und wird nun sichtbarer. Auf dem Weihnachtsmarkt, am Center, am Alten Theater, vor McDonald’s. Wir sind deshalb in Kontakt mit der Stadtverwaltung, dem Ordnungsamt und auch mit dem Rathaus-Center und dessen Sicherheitsdienst.

Wie sicher ist der Weihnachtsmarkt?
Schuberth: Er ist sicher. Niemand muss Scheu oder Angst haben, dort hinzugehen. Aus polizeilicher Sicht liegt der Fokus auf zwei Bereichen: mögliche Terror-Anschläge zu verhindern sowie das Sicherheitsgefühl zu erhöhen und Kleinkriminalität zu verhindern.

Es sind viele Einsatzkräfte eingebunden, auch die Regionalbereichsbeamten. Der Weihnachtsmarkt wird zusätzlich mit Kräften der Landesbereitschaftspolizei abgesichert. Bis auf die beiden Fälle ist dort bisher nichts passiert. Seit diesen massiven Übergriffen ist Ruhe - auch, weil Tatverdächtige in Untersuchungshaft sitzen.

Was kann die Polizei tun, um das Sicherheitsgefühl in der Stadt insgesamt zu stärken?
Schuberth: Das, was wir durch Präsenz beeinflussen können, machen wir. Wir haben eine Analyse zu den höchst belasteten Straßen. Dort, wo viel passiert, sind wir auch mit mehr Streifen unterwegs. Oftmals sind wir so nah, dass wir vor Ort Schlimmeres verhindern konnten. So war es auch bei den beiden Angriffen mit Messern im Zentrum.

Dass diese Gruppen aber Betreuung brauchen, vielleicht deutliche Ansprachen, das ist dann nicht mehr Sache der Polizei. Da müssen andere Bereiche anknüpfen. Wir geben Impulse und Hinweise an die entsprechenden Stellen wie beispielsweise die Ausländerbehörde. Das Problem ist bekannt. Wir sind auch im Kontakt mit dem Multikulturellen Zentrum. Es ist am Ende aber sehr schwierig, an diese Personen heran zu kommen.

Fall Oury Jalloh: „Wenn es Versäumnisse gab, müssen sie aufgeklärt werden“

Der Fall Oury Jalloh hat in den vergangenen Wochen hohe Wellen geschlagen. Und einen Schatten über das Dessauer Revier geworfen. Zu Recht?
Schuberth: Ich habe ein Problem damit, wenn von institutionalisiertem Rassismus die Rede ist. Ich war damals nicht dabei und kann nicht bewerten, was passiert und wie ermittelt worden ist.

Ich kann nur sagen: Oury Jalloh war in Gewahrsam, die Gründe sind unerheblich - dass er in der Zelle zu Tode kommt, das darf nicht passieren. Wenn es Versäumnisse gab, müssen sie aufgeklärt werden.

Wie gehen die Kollegen damit um?
Schuberth: Unaufgeregt und gelassen. Zwei Drittel der Mannschaft von damals ist nicht mehr da. Mir tun die Kollegen trotzdem leid, weil sie beschimpft werden und zu Unrecht ein schlechtes Bild gezeichnet wird. Es gab in der jüngsten Vergangenheit nicht eine Beschwerde von Migranten, die mit Beamten zu tun hatten. Für mich ist das ein Beleg dafür, dass es bei der Dessau-Roßlauer Polizei keinen Rassismus gibt.

Am 7. Januar ist für Dessau wieder eine Gedenkveranstaltung für Oury Jalloh geplant. Wie bereitet sich die Polizei darauf vor?
Schuberth: Wir rechnen mit vielen Teilnehmern. Im vergangenen Jahr waren es etwa 1.100. Wie viele es in diesem werden, dazu will ich jetzt keine Prognose abgeben. Wir werden diese Demonstration im Rahmen des Versammlungsrechts professionell absichern. Jeder kann hier demonstrieren, solange es in diesem Rahmen friedlich bleibt. (mz)

Im Zentrum der Stadt haben sich Cliquen gebildet, die Ärger suchen.
Im Zentrum der Stadt haben sich Cliquen gebildet, die Ärger suchen.
Archiv/Andreas Stedtler