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Mordprozess Yangjie Li Mordprozess Yangjie Li: Schicksalsstunde für den Stiefvater des Angeklagten

Von Ralf Böhme 01.03.2017, 05:00
Justizangestellte nehmen den Angeklagten Sebastian F. die Handschellen im Gerichtssaal ab.
Justizangestellte nehmen den Angeklagten Sebastian F. die Handschellen im Gerichtssaal ab. Lutz Sebastian

Dessau-Roßlau - Ihm kommen die Tränen. Er schluchzt auf. „Übermitteln sie, wie unendlich traurig wir sind über das Schicksal der getöteten Yangjie Li...“ Mit diesen Worten lässt Jörg S. seine Vernehmung im Mordprozess Yangjie Li enden. Dann stürzt der Stiefvater des mutmaßlichen Mörders Sebastian F. aus dem Großen Saal des Landgerichtes - eine Schicksalsstunde.

Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Xenia I. soll der 21-jährige Stiefsohn im Mai vergangenen Jahres die damals 25-jährige chinesische Studentin in Dessau entführt, vergewaltigt und ermordet haben. Wegen dringenden Tatverdachts, gestützt auf eine Unmenge von Spuren am Tatort und an der Fundstelle der Leiche, sitzen die Beschuldigten in Untersuchungshaft.

Um 9 Uhr zum regulären Verhandlungsbeginn ist von Jörg S. nichts zu sehen. Mit Verspätung, extrem kurzatmig und mit hochrotem Kopf eilt der ehemalige Revierleiter der Dessauer Polizei in den Zeugenstand. Zu Beginn erhält er Gelegenheit, eine vorbereitete Erklärung zu verlesen. Man darf davon ausgehen, dass jedes Wort gut überlegt ist. So erhalten die Zuhörer im voll besetzten Saal wohl ein authentisches Bild, wie der seit sieben Monaten krankgeschriebene Beamte heute die Welt sieht.

Mordprozess Yangjie Li: Stiefvater Jörg S. sieht sich S. als „Opfer der Medien“

Da ist zum einen davon die Rede, wie sehr der 53-Jährige das Verbrechen verabscheut. Neben dem Mitgefühl für das Opfer bringt er zum Ausdruck: „Ich wünsche die Bestrafung des Täters.“ Seinen Stiefsohn würdigt Jörg S. dabei mit keinem Blick. Auf der anderen Seite spricht der Zeuge davon, dass seine Familie Zweifel am deutschen Rechtsstaat gekommen seien. Vor allem aber sieht sich S. als „Opfer der Medien“. Man könne die Angriffe, so seine Tonlage, kaum noch ertragen. Ungeheuerlichkeiten, Lügen und Spekulationen - das sind die Worte, die der Polizist für die Berichterstattung über den grausamen Mord findet. Dass er selbst „ein, zwei falsche Entscheidungen“ gefällt habe, räumt er ein. Um welche es sich handelt, bleibt sein Geheimnis.

Richterin Uda Schmidt erkennt die Brisanz der Situation. Vorsorglich wirft sie an den Zeugen gerichtet ein: „Ich merke, Sie sind extrem angespannt.“ Das Angebot, die Befragung zu unterbrechen, lehnt der Sprecher in eigener Sache jedoch ab. Er wolle das Ganze hinter sich bringen. Was folgt ist der Versuch des Landgerichts, das Unbegreifliche eines Mordes begreifbar zu machen. Das ist eine Aufgabe, an der man manchmal auch scheitern kann.

Polizistin Ramona S, hat offenbar das Sagen

Die beiden Angeklagten, um deren Schuld oder Unschuld es hier letztlich geht, bringt der Auftritt nicht aus der Ruhe. Sebastian F. verzieht keine Miene, als sein Stiefvater von seinem Versuch berichtet, ein normales Verhältnis zu dem Jungen zu gestalten. Xenia I. schaut unbeteiligt unter die Tischplatte, wenn der Zeuge auf Nachfrage bestätigt: „Richtig streiten habe ich die beiden nie gesehen.“ Das ist das Gegenteil dessen, was sie behauptet. Ihr zufolge soll Sebastian F. sie vergewaltigt und geschlagen haben.

Die große öffentliche Aufregung darum, dass die Polizisten-Familie kurz nach der Trauerfeier für Yangjie Li ein Gartenlokal eröffnet hat, versteht der Zeuge wohl immer noch nicht. Angesprochen auf das Ereignis kontert er jedenfalls mit der Gegenfrage: Wann wäre denn der richtige Zeitpunkt gewesen? Eigentlich müsste S. nur auf seine Berufskollegen hören. Viele Polizisten haben mit Kritik auf dieses Verhalten reagiert.

Gegen den Willen der Mutter des Tatverdächtigen Sebastian F. geschieht nichts

Oftmals ist es ein zähes Ringen um Worte, um die Entwicklung von Sebastian F. zu beschreiben. Hinzu kommt der häufige Hinweis auf Gedächtnislücken, die der Zeuge bedauert. Zwei Punkte dürften in der weiteren Verhandlung jedoch noch eine große Rolle spielen. Erstens: Die leibliche Mutter des Tatverdächtigen, die Polizistin Ramona S, hat in dieser Familie offenbar das Sagen. Der ranghohe Beamte Jörg S. akzeptiert das, zumindest in Erziehungsfragen.

Und Sebastian F. vertraut ihr nach Aussage seines Stiefvaters absolut. Gegen den Willen der Mutter geschieht nichts. Sie selber kann derzeit aus Krankheitsgründen nicht befragt werden. Zweitens: Der Angeklagte ist psychisch seit Kindheitstagen auffällig. Man spricht von einem verlangsamten Reifeprozess. Eine Verhaltensstörung, einhergehend mit Konzentrationsschwäche und Unruhephasen, könnte dazu beigetragen haben.

Zumindest zeitweise prägt Sebastian F. die Einnahme starker Medikamente. Weder der Besuch einer Förderschule in Pretzsch, Abgang mit dem Zeugnis der 8. Klasse, noch ein wochenlanger Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung in Merseburg ändern etwas daran. Offen bleibt, wie es ihm dennoch gelingt, immer wieder Frauen in seinen Bann zu ziehen. Selbst aus der Untersuchungshaft soll er entsprechende Kontakte knüpfen. Nur seine Mutter kommt nicht mehr. Richterin Uda Schmidt: „Sie hat bislang keine Besuchserlaubnis beantragt.“ (mz)

Yangjie Li, ermordet 2016
Yangjie Li, ermordet 2016
privat
Im Mai suchten Polizisten nach Spuren, nachdem die vermisste Studentin tot in Dessau gefunden worden war.
Im Mai suchten Polizisten nach Spuren, nachdem die vermisste Studentin tot in Dessau gefunden worden war.
DPA
Xenia I., in den Mord an Yangjie Li verwickelt, verbirgt ihr Gesicht im Gerichtssaal.
Xenia I., in den Mord an Yangjie Li verwickelt, verbirgt ihr Gesicht im Gerichtssaal.
Lutz Sebastian