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Milde Erinnerungen an die Tage als Heimkind

Von Thomas Steinberg 24.10.2004, 15:33

Dessau/MZ. - Wenn Saumwald und Taube heute, fast 50 Jahre später, durch das Kinderheim gehen, das einst Thälmann-Heim hieß und heute "Wolkenfrei" und vom Paritätischen Wohlfahrtsverband betrieben wird, erinnern sie sich an jedes noch so scheinbar belanglose Detail: wo eine Tür war, die längst verschwunden ist, zum Beispiel. Oder sie staunen. Über die Küche zum Beispiel: "Das hat mancher nicht zu Hause", sagt Taube. "Ob das gut ist?"

Saumwald und Taube waren Gäste beim nunmehr vierten Treffen ehemaliger Heimkinder und Heimmitarbeiter in der Gaststätte gleich gegenüber dem Heim, in der "Stoobwolke". 150 Leute hatte Gregor Bernatzky, pädagogischer Leiter, eingeladen, 70 hatten zugesagt.

Saumwald und Taube sind typische Nachkriegskinder, aufgewachsen in einer wirren Zeit. "Ich bin das Ergebnis einer Gegenleistung", lacht Taube: Sein Vater war Besatzungssoldat und hatte, was der Mutter fehlte: Essen. Mit drei Jahren gab sie ihn ins Kinderheim. Saumwalds Mutter hatte das Scheitern der Ehe nicht verkraftet.

Unglücklich sei ihre Kindheit deshalb nicht gewesen, beteuern beide. "Uns ist es sogar besser gegangen, als manch anderen." Dennoch ist Helmut Saumwald, ein schmales, freundliches Bürschchen, einmal mit zwei Freunden abgehauen. Kurz vor Köthen stellte sie die Polizei in einer Gaststätte - mit vorgehaltenen Waffen. "Irgendwie hatte der Wirt denen was Missverständliches erzählt." Im Heim gab's Prügel - für die anderen, denn Helmut wurde ab und zu fürs Wochenende von einer Nachbarin mit nach Hause genommen: "Sie sollte das nicht erfahren." Peter Taube brauchte auf solche Abwechslung nicht zu hoffen. "Ich war nicht so artig", bekennt er.

Dass Heimkinder es schwerer hätten im Leben, will Taube nicht gelten lassen. "Ich kann so etwas nicht hören." In einer Gruppe von 25 Kindern mussten sie lernen, sich durchzusetzen und Verantwortung zu übernehmen, an Freunden mangelte es nie und Selbständigkeit wurde früh zur Notwendigkeit.

Die Lebenswege der beiden Freunde geben jedenfalls keine Anhaltspunkte, dass sie der Heimaufenthalt benachteiligt hätte. Der eine wurde Meister und der andere Bergbauingenieur.