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Meiereistraße in Dessau-Alten Meiereistraße in Dessau-Alten: Das letzte Eis im "Gradels EisEck"

Von Danny Gitter 15.06.2015, 09:17
Ein letztes Mal hieß es Schlange stehen bei Gradels.
Ein letztes Mal hieß es Schlange stehen bei Gradels. Sebastian Lizenz

Dessau - Schoko? Stracciatella? Banane? „Haben wir nicht!“ Johanna und Hans Peter Gradel schütteln am späten Donnerstagnachmittag nur den Kopf. Beide hätten die drei Sorten ohne Probleme noch einmal anrühren können. Doch: Das Ehepaar wollte nicht. In „Gradels EisEck“ in der Meiereistraße in Alten war am Donnerstag der letzte Öffnungstag. Am Abend gingen in dem kleinen Kiosk die Jalousien runter. Für immer.

Warum? Gradels können nicht mehr zählen, wie oft beide dieses Wort seit der letzten Woche hörten. Ihre Antwort ist kurz und bündig: „Weil wir es so wollten“, sagt Hans Peter Gradel. Eine letzte Saison hatten sich der 70-Jährige und seine fünf Jahre jüngere Frau noch vorgenommen. Dass nun schon ein paar Monate früher Schluss ist, damit hatten sie zu Beginn der Eissaison am 10. März selbst nicht gerechnet. Doch die letzten Tage haben vieles umgeworfen.

Die MZ nutzte den letzten Arbeitstag des Ehepaars Gradel, um ein paar Fragen zum Thema Eis zu stellen.

Johanna Gradel: Meine Favoriten sind Schoko und Stracciatella.

Hans Peter Gradel: Tiramisu-Eis versüßt mir den Tag.

Johanna Gradel: Dass es cremig ist, ist für mich ein wichtiges Kriterium.

Hans Peter Gradel: Eis muss die richtige Festigkeit haben, das heißt nicht zu schnell flüssig werden und natürlich für das Geschmackserlebnis stehen, was man von der Beschriftung am Eisbehältnis her erwartet.

Hans Peter Gradel: Mein Rumkugel-Eis ist mir besonders gut gelungen. Das war sicherlich einmalig in der Region. Mit interessierten Kollegen teile ich auch im Ruhestand noch gerne Rezepte und Erfahrungen.

„Es ist nicht so, dass wir schwer krank sind oder das Schicksal hart zugeschlagen hätte“, erzählt Johanna Gradel. Ihr Mann feierte kürzlich seinen 70. Geburtstag. „Plötzlich machte es Klick - und ich wusste, dass ich nicht erst Ende September, Anfang Oktober aufhören will, sondern möglichst schnell“, sagt Hans Peter Gradel. „Ich habe meinen Job immer mit vollem Einsatz und Freude gemacht. Die ganze Saison noch mitzunehmen, wäre aber mehr Qual als Lust gewesen.“ Deshalb hat seine Frau irgendwann keine Zutaten mehr bestellt. Exakt bis gestern konnte das Eis noch hergestellt und verkauft werden.

Nachricht machte die Runde

Vorige Woche hatten es Gradels ihren Kunden erzählt. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, auch Dank sozialer Medien wie Facebook. „Irgendein junger Mensch muss das auf diesem Wege verbreitet haben, so dass es ganz schnell ganz viele wussten“, vermutet Johanna Gradel. Was dann folgte, war eine Welle der Sympathie-Bekundungen. Kaum jemand, der sich ein letztes Mal sein Lieblingseis in der Seitenstraße der Lindenstraße in Alten holte, kam umhin, das Aus für „Gradels EisEck“ zu bedauern - und trotzdem alles Gute für ihre Zukunft zu wünschen. Die Blumengrüße häuften sich am letzten Geschäftstag.

Der wurde mit Freude und Erleichterung und nicht mit Wehmut begangen, obwohl sie sich bewusst waren, dass sie ein letztes Mal die zwölf Behälter mit Eis füllen, ein letztes Mal ihre Rollladen hochziehen und ihre beiden Verkäuferinnen zum letzten Mal zum Dienst begrüßen würden. Eine Angestellte hat einen Job in einer anderen Eisdiele gefunden. Die zweite ist noch auf der Suche.

Am 4. August 1990 hat es mit dem Verkauf von selbst gemachtem Eis aus ihrer umgebauten Garage angefangen. Aus dem Geheimtipp in Alten wurde so etwas wie eine Kult-Eisdiele für Generationen. Doch der Preis war hoch. Vom März bis Ende September drehte sich fast alles nur noch um die Arbeit. „Haus, Garten, Freunde, blieben da oft auf der Strecke“, sagt Johanna Gradel. Das werde jetzt anders, aber auf keinen Fall langweilig.

Es wird keinen Nachfolger geben

Die Eisdiele wird aber Geschichte bleiben. „Einen Nachfolger gibt es definitiv nicht, obwohl es durchaus einige Interessenten gab“, sagt Hans Peter Gradel. Doch es war schon immer so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz in ihrer Straße gewesen, dass für immer Ruhe vom Publikumsverkehr einkehrt, wenn sie in Rente gehen. Und das ist gestern passiert. (mz)

Erleichtert: Johanna und Hans Peter Gradel.
Erleichtert: Johanna und Hans Peter Gradel.
Sebastian Lizenz