Luftbad an Mulde Luftbad an Mulde in Dessau: 96-jährige Zeitzeugin erinnert an den vergessenen Prießnitz-Verein

Dessau - In Fotoalben ist Eva Rauchfuß auf Zeitdokumente aus ihrer Kinder- und Jugendzeit gestoßen, die eine Geschichte von einem Ort erzählen, der in Dessau in Vergessenheit geraten ist: Das Licht-, Luft- und Sonnenbad im Vorderen Tiergarten.
Ein Foto zeigt, wie sie (im karierten Badeanzug) und ihre Freundin sich auf eine Reckstange stützen. Zwischen Beiden sitzt ein junger Mann. „Ich wusste damals nicht, dass er einmal mein Mann sein würde. Wir waren später 52 Jahre verheiratet“, schmunzelt sie. Damals. Das ist mehr als 80 Jahre her. Rauchfuß war 15, heute ist sie 96.
In jenem Bad, zwischen „Rehsumpf“ und „Parnekel“ gelegen, habe sie jeden Sommer ihrer Kindheit und Jugend verbracht, erzählt die frühere Lehrerin. Es wurde geführt vom Prießnitz-Verein für naturgemäße Lebens- und Heilweise zu Dessau. Der warb mit seinem eigenen „Licht-, Luft- und Sonnenbad im Vorderen Tiergarten - herrlich an der Mulde gelegen“. Vorstand des Vereins war Hermann Bunge, Prokurist bei der Bamag (Berlin-Anhaltischen Maschinenbau AG), - der Vater von Eva Rauchfuß.
1890 gegründeter Verien verfügte an der Mulde über ein großes, mit Eichen bestandenes Areal
Der Verein hatte sich die Erkenntnisse des Landwirtes Vincenz Prießnitz von einer gesunden Lebensführung zunutzte gemacht. 1890 gegründet, verfügte der Verein an der Mulde über ein großes, mit Eichen bestandenes Areal. Hier waren aus Holz Baracken aufgebaut. Eine jede Familie verfügte dort über „eine Zelle“, wie Eva Rauchfuß erzählt. Darin wurden Gartenstühle, Geschirr und anderes aufbewahrt. Damit Hochwasser nicht in die Räume drang, waren sie über vier/fünf Stufen zu erreichen.
Auf dem Gelände gab es verschiedene Sportgeräte, um sich fit zu halten. Und natürlich wurde in der Mulde geschwommen - unter Aufsicht eines Bademeisters. Damit die Kinder nicht abgetrieben wurden von der Strömung, gab es einen Zaun. Schwimmen gelernt haben die Kinde mit Hilfe einer Stange.
„Ich bin dort gerne gewesen“, erzählt die 96-Jährige. „Bis 1945 verbrachten wir jeden Sommer dort.“ Nach der Schule seien die Muttis mit ihren Kindern mit dem Rad ins Bad gefahren. Nach Dienstschluss kamen die Väter.
„Das Bad war Familienangelegenheit“, sagt Eva Rauchfuß
Die älteste Aufnahme zeigt Eva Rauchfuß bereits im Alter von etwa fünf Jahren mit einer Kindergartengruppe. Ihr evangelischer Kindergarten befand sich in der Fürstenstraße (heute Friedrich-Naumann-Straße).
„Das Bad war Familienangelegenheit“, sagt Eva Rauchfuß, „Mitglieder waren in der Hauptsache Lehrerfamilien.“ Mehrere Familien hatten sich im Bad eine Eiche geteilt und dort ihren festen Platz. „Sonnenschirme waren nicht in Mode“, erzählt sie zum dafür schützenden Blätterdach.
Zu den Mitgliedern des Prießnitz-Vereines gehörte auch der Dessauer Heimatschriftsteller Willibald Krause. An seine Darbietungen in Mundart zu Sommerfesten oder Weihnachtsfeiern kann sie sich lebhaft erinnern. Überhaupt: „Für Amüsement war viel gesorgt.“ Und in den Ferien? „Verreist sind wir nie. Früh ging es immer ins Luftbad.“
Nach der Bombardierung der Stadt am 7. März 1945 fand das Vergnügen ein Ende
Doch nach der Bombardierung der Stadt am 7. März 1945 fand das Vergnügen ein Ende. Die Menschen hatten andere Sorgen. „Viele der Ausgebombten hatten ihre Zellen für Übernachtungen genutzt“, weiß Eva Rauchfuß. „Später wurde alles abgerissen.“ Wann genau, kann sie nicht sagen. Doch die Erinnerungen leben in den Fotos weiter.
Das Bad des Prießnitz-Vereins ist ein Zeugnis von 200 Jahren Badekultur zwischen Mulde und Elbe. Das Dessauer Museum für Stadtgeschichte im Johannbau widmet der Badekultur bis November eine Ausstellung. Mittwochs bis sonntags ist sie von 10 und 17 Uhr zu sehen, wirbt Ralf Schüler von der Pressestelle des Rathauses. Das Museum, sagt er, habe großes Interesse an Zeugnisse in jeglicher Form, um seine Sammlung zu erweitern. Das Bad des Prießnitz-Vereins ist in der Ausstellung nicht extra erwähnt. (mz)
Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden Vereine, die über natürliche „volksverständliche“ Heilweisen informierten. Dazu angeregt wurden sie durch den populären heilkundigen Landwirt Vincenz Prießnitz (1799-1851), der unter weltweitem Interesse die Heilkraft des Wassers im Verbund mit Ernährung, Bewegung, Licht und Luft als erfolgreiche Reiz- und Regulationstherapie verordnete. Prießnitz gilt als Erneuerer der Kaltwasserkur in Österreich und Deutschland.
Auf Prießnitz zurück geht die Historie des Deutschen Naturheilbundes. 1889 wurde der „Deutsche Bund der Vereine für Gesundheitspflege und arzneilose Heilweise“ in Berlin gegründet. 1913 vereinte der Dachverband etwa 900 Ortsvereine mit fast 150.000 Mitgliedern, heißt es auf der Internetseite des Vereins.



