Lesung mit Serdar Somuncu Lesung mit Serdar Somuncu: Position statt Betroffenheit
Roßlau/MZ. - Bestimmten Themen haften bestimmte Klangfarben an. Wer über den Faschismus referiert, bedient sich oft an einem Vorrat erlernter Betroffenheitsgesten, mindestens aber verbleibt er in einer ernsthaften Sachlichkeit. Ein wenig zuckt man dann schon zusammen, wenn bei einer kommentierten Lesung aus Goebbels Rede vom 18. Februar 1943 Stilmittel des Comedy dominieren.
Der Schauspieler Serdar Somuncu trug am Donnerstag in der Aula des Goethe-Gymnasiums in Roßlau der Tatsache Rechnung, dass diese Betroffenheit auch jenseits kahl geschorener Köpfe nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Da mag man lamentieren, ob die großen Kinder der Spaßgesellschaft unbedingt mit deren Mitteln politisch gebildet werden müssten.
Doch was Somuncu im Jugendjargon transportiert, ist eine klare Position, die nicht endlos analysiert, sondern demaskiert. Nach der Schlacht um Stalingrad betrieb Goebbels die Mobilisierung zum totalen Krieg. Dazu gehörte auch die Rede im Berliner Sportpalast, welche die bekannte Frage beinhaltet: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Bekannt? Was ist eigentlich bekannt? Somuncu fragt nach Stalingrad und erhält zögernd Antwort.
Dann fragt er, ob die Rede eine geniale gewesen sei. Zum Mythos sei sie geworden, weil sie kaum einer wirklich kenne. Aber, so Somuncu, "nicht Mythos, sondern Schwachsinn ist, was drin steht". Diesen demaskiert der Schauspieler pausenlos. Entlarvt werden die religiösen Phrasen, mit denen die erklärten Atheisten den "kollektiven Selbstmord" vorantrieben. Mag es auch Leute geben, welche die frenetische Reaktion der Zuhörer mit der Rhetorik Goebbels begründen, so sind für Somuncu Wiederholungen und Endlos-Negationen nicht Stilmittel, sondern schlicht Schwachsinn.
Und was Goebbels über die Gefahr aus dem Osten sagte, ist wirklich eine Ansammlung konträrer Phrasen. Die These, dass sich rechts außen auch intelligente Menschen befänden, lehnt Somuncu kategorisch ab, weil "intelligente Menschen auch intelligente Ziele verfolgen". Intelligent aber ist, wie der Schauspieler immer wieder Verbindung zum jugendlichen Publikum findet. Dröge hüpft er als Gorilla in Bomberjacke umher, oder amüsiert sich über die hausbackene Symbolik. Denn gerade Flieger in Bomberjacken zerschlugen Nazi-Deutschland. Manchmal provoziert er die Schüler, welche gut gegessen hätten und schön gekleidet seien, "aber habt ihr auch einen einzigen guten Gedanken?"
Zuweilen imitiert er grimassierend den Führer oder belustigt sich über den langweiligen Klang der modischen Schulglocke. Trotzdem lobt Somuncu den Mut der Schule, ihn eingeladen zu haben. Und schließlich kommen auch die Konzentrationslager ins Gespräch, aber wieder ohne vordergründig Betroffenheit zu erzeugen, sondern um Position zu beziehen. "Wer sagt ja, wer sagt nein?" Im Sportpalast wurde gejubelt, als Goebbels fragte: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Somuncu schließt mit der späteren, zynischen Bemerkung des Redners: "Was für ein idiotischer Auftritt! Wenn ich die Leute gefragt hätte, ob sie vom Dach des Kolumbushauses springen wollten, hätten sie auch ja gebrüllt."