Lesung Lesung: Blick in Psychopathen-Hirn
Roßlau/MZ. - "Wenn sie glauben, ich sei Adolf Hitler, dann sind sie hier falsch", platzt Sedar Somuncu unverblümt heraus, bevor er auch nur eine Zeile gelesen hat. Und gibt seinen Zuhörern im vollbesetzten Ratsaal sogleich ein paar Regeln vor: Lachen sei zwar ein Paradoxon zu den Ereignissen rund um das Buch, aber man könne gar nicht anders, als über die Banalität in diesem Buch zu lachen. Applaudieren ist ebenso erlaubt wie einschlafen. Denn was wäre eine schlimmere Strafe für den Autor eines der weltweit bestverkauftesten Bücher, als dass jemand vor Langeweile einschläft. Genau so, wie es die größte Verhöhnung sei, dass ausgerechnet ein Türke aus dem Buch "Mein Kampf" von Adolf Hitler liest.
Am Freitag machte Sedar Somuncu mit seiner Lesetournee in Roßlau halt, und rund 120 Zuhörer, darunter zahlreiche Schüler der Oberstufe waren gekommen, um rund eine Stunde lag Geschichtsunterricht der anderen Art zu erleben. Zwar stand Hitlers Buch im Mittelpunkt, Somuncu ging aber auch auf dessen Hintergründe ein. Weniger Lesestunde als vielmehr eine ausgiebige Interpretationsrunde war es, was er seinen Zuhörern bot.
Mit spitzer Zunge und einer ordentlichen Brise Sarkasmus berichtet er von der wahren Biografie Hitlers, dessen Eltern miteinander verwandt waren und dessen Nachname nur durch ein Versehen des Standesbeamten zustande kam. Als Somuncu die ersten Zeilen zu lesen, vielmehr auswendig vorzutragen beginnt, rollt er das R, seine Mimik und Gestik stark einsetzend zitiert er Hitler, der im ersten Kapitel von seiner Geburrrrrrrrt berichtet und von seinem Leben als Student. Somuncu nimmt kein Blatt vor den Mund, deckt dem Zuhörer biografische Widersprüchlichkeiten auf und gerät während seiner Interpretation in fiktive kurze Streitdialoge mit Hitler, in denen er den Sinn der Absätze hinterfragt.
Gelacht wird im Publikum wirklich, vor allem, als Somuncu eines seiner Lieblings-Lesebeispiele aus dem Kapitel "Volk und Rasse" liest, in dem unter anderem geschrieben steht, dass "ein Fuchs ... immer ... ein Fuchs" sei und eine Meise immer wieder eine Meise.
Somuncu kommt auf das inkonsequente Verbot des 1925 im Gefängnis entstandenen Buches zu sprechen. Kaufen und verkaufen darf es in Deutschland niemand, besitzen jedoch schon. "Sinnlos" findet der 1968 in Istanbul geborene Schauspieler, denn ",Mein Kampf'' ist das beste Mittel gegen ,Mein Kampf''", sagt Somuncu. Denn wie könne man denn schon wissen, ob man rechts oder links sei, wenn man gar nicht wisse, wofür oder wogegen man ist. Hitlers Buch bezeichnet der Türke als "globalisierte Geschichte", und deswegen müsse man sie lesen "bis ihnen die Kotze kommt", spricht er das Publikum direkt an. Als eine Art "Aufklärungsarbeit" könnte man Somuncus Lesereise beschreiben, mit der er seit sechs Jahren schon über 1400 Mal vor Publikum stand.
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