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Kirche Natho Kirche Natho: Eine Panne Luthers und Witwe mit Lampe

Von Thomas Altmann 14.12.2001, 19:41

Natho/MZ. - Pannen, so ärgerlich sie sein mögen, sind immer gut für unvorhersehbare Situationen und Begegnungen. So ist es, und so war es auch vor mehr als 450 Jahren.

Damals näherte sich der gesuchten Kirche ein Wagen, der aus Richtung Thießen kam. Doktor Martin Luther solle in persona auf dem Weg von Wittenberg nach Zerbst gewesen sein, als ihn ein Wagenradbruch zum Verweilen zwang. Quartier fand er beim ersten evangelischen Pfarrherren der Parochie Natho. Dieser sei, so wollen es die Kirchenbücher, Mönch und Alchimist gewesen sein, bis die Reformation die Klostertüren öffnete.

Worüber sich die beiden an diesem Abend unterhielten, weiss man nicht, vielleicht über ihre monastische Vergangenheit oder die reformatorische Zukunft. Der um 1250 gegründete Augustiner-Eremiten Orden, dem Luther angehörte, ist gut 50 Jahre jünger als die Kirche in Natho. Auch sie ist eine für den Fläming typische, in Schiff, Chor und Apsis gegliederte Feldsteinkirche von recht stattlichem Ausmaß mit einem Fachwerkturm. Natho war, auch wenn die Anlage des Dorfes nichts mehr davon erahnen lässt, eine slawische Siedlung.

In Zeiten, in denen relativ wenig Geld vorhanden ist, passiert auch an den Kirchen wenig. Am Ende der Gründerzeit wurde die spätromanische Kirche stark überformt. Dabei erhielten unter anderem die vergrößerten Fenster neue Gewände in Backstein. Die Westseite wurde komplett in Quaderstein erneuert, Kanten und Ecken in Backstein gefasst und eine Eingangshalle vorgelagert, durch welche man heute die Kirche betritt. Der Gemeinde- und der Priestereingang an der Südseite wurden mit Grabsteinen vermauert. Es sind die der Ehefrauen des Pfarrers Koch von 1701 und des Pfarrers Mücke von 1732. Bei dem Umbau von 1890 bis 1892 wurde die gesamte Innenausstattung erneuert. Auch der romanisierende Altar stammt aus dieser Zeit. Bis dahin habe noch ein alter Feldsteinaltar in der Kirche gestanden.

Beim Abbruch des Altars soll ein geschnitzter Marienkopf aus vorreformatorischer Zeit gefunden worden sein. Möglicherweise war die Johanniskirche früher eine Marienkirche. Die Legende geht um, dass der letzte katholische Priester den Marienkopf im Altar versteckt habe, damit Maria weiterhin, wenn auch geheim, Patronin der Kirche bliebe. Irgendwann ist der Kopf dann in das Schlossmuseum nach Zerbst gekommen, wo er beim Angriff im April 1945 verbrannte.

Auch Fussboden, Bleiverglasung und Bänke stammen aus der Zeit des Umbaus. Das Chorgestühl, in welchem Pfarrer, Erbschulze, Dorfschöppen, Kirchenälteste und früher auch der Patron des Dorfes ihren bevorzugten Platz einnahmen, verschwand der Zeit gemäß ersatzlos. Die alte Sitzordnung für das Kirchenvolk hielt die vordersten Plätze für das Schulzengut besetzt. Die Frauen saßen auf der Süd-, die Männer auf der Nordseite. Der Hirte musste sich in der bäuerlichen Hierarchie mit dem hintersten Platz begnügen. So war der Hirte am weitesten vom Hirten entfernt.

Anfang der 90er Jahre ist die Kirche renoviert und die Backsteinmauer entlang der Strasse neu und getreu dem Original aufgebaut worden. Auch diese Mauer und das Pfarrhaus sind in der Folge des Kirchenumbaus am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Beim Neubau der Mauer fand man in der Nähe des Pfarrhauses Reste der alten Einfriedung, die wie die Kirche wohl aus dem 12. Jahrhundert stammen. Am Ende des zweiten Weltkrieges kamen viele Flüchtlinge aus dem Osten in die Gegend. So auch Frau Deinhardt, eine adlige Gutsbesitzerin aus Schlesien. Die vornehme Witwe lebte in aller Bescheidenheit unter dem Dach des Pfarrhauses, spielte Orgel und unterwies die Kinder. Entsprechend viele kennen und schätzen sie hier noch immer. Da sie nicht Rad fuhr, lief sie bei Wind und Wetter zu Fuß von Ort zu Ort. Und so ist sie manchmal mit einer Stalllaterne durch den Wald aus Thießen gekommen, also aus der Richtung, aus der auch Luther kam, als das Wagenrad brach.