Institution in Dessau-Roßlau Institution in Dessau-Roßlau: "Pelz Jovy" verabschiedet sich nach 85 Jahren

Dessau - Der Tag ist tatsächlich gekommen. „Am 31. Mai ist ein guter Termin“, hat Burkhart Jovy beschlossen. Sein 80. Geburtstag liegt dann gerade fünf Tage zurück „und einmal muss ja Schluss sein. Sonst wird es wieder Winter und der Pelz rausgeholt.“
Stück für Stück wurden in den vorigen Wochen die letzten Überhänge abgearbeitet. Am Mittwoch nun klappt der Kürschnermeister sein Auftragsbuch zu und verschließt die Werkstatt in der Kavalierstraße 70.
85 Jahre „Pelz Jovy“ in der Dessauer Innenstadt
Mit „Pelz Jovy“ verliert der Handel in der Dessauer Innenstadt eine Institution. 85 Jahre bestand der Familienbetrieb der Kürschnermeister Jovy in der Stadt. 1932 eröffnete Burkhart Jovys Vater Franz in der Wallstraße ein Kürschnergeschäft.
Der Familienname klingt eindeutig nicht nach Anhalt oder Dessau? „In der Familie erzählte man sich, Vaters Vorfahren wären mit der Hugenottenbewegung als Glaubensflüchtlinge von Frankreich nach Deutschland gekommen. Ich weiß es nicht“, zieht Burkhart Jovy die Schultern hoch. Seit dem frühen 20. Jahrhundert aber hatte Jovy eine feste Geschäftsadresse in Dessau. Bis zur Bombennacht kurz vor Kriegsende 1945.
In unterschiedlichen Zeitepochen waren unterschiedliche Pelze nachgefragt
Aus Schutt und Asche wagte Franz Jovy den Neuanfang. Zuerst in der Wohnung in Dessau-Nord, dann ab 1962 in einem neuen Geschäft in der Johannisstraße, Ecke Stiftstraße. Junior Burkhart war längst von der Magie des zum Pelz verarbeiteten Fells fasziniert. Kürschner werden und in des Vaters Fußstapfen treten, das war von Beginn an Berufsziel und Leidenschaft des gebürtigen Dessauers. Nach dem Abitur am Philanthropinum machte er seine Lehre in einem Handwerksbetrieb in Leipzig.
Um anschließend an der Deutschen Kürschnerschule noch die Fachschule anzuschließen. Auch dies lief in Leipzig, als dem ersten „Pelzplatz“ in Deutschland mit den legendären „Brühl“-Pelzen. Diesen Rang lief der alten Messestadt nach dem Krieg peu à peu Frankfurt am Main ab, aber die alte Adresse behielt in der Fachwelt ihren guten Ruf. Seine Meisterprüfung absolvierte der junge Kürschner dann im zuständigen Kammerbezirk Halle in der Saalestadt.
Mit dem Meisterbrief frisch gekürt, übernahm Burkhart Jovy 1962 dann das väterliche Geschäft in der Dessauer Johannisstraße. Es folgten arbeitsreiche Jahre. Die von Lieferengpässen geprägt waren, Burkhart Jovy in seinem Geschäft aber nicht zur Mangelwirtschaft werden ließ. Dass die hochwertigen Materialien wenig und nur mit vielen Umständen zu beschaffen waren, machte ihre hochwertige Verarbeitung umso wichtiger.
In unterschiedlichen Zeitepochen waren unterschiedliche Pelze nachgefragt. „In der DDR wurde viel Kanin und Fuchs verarbeitet. Die Kleidungsstücke variierten vom Mantel zur Jacke, aber der Pelz kam nie völlig aus der Mode“, blickt der Kürschnermeister zurück. Obwohl es ihm lange widerstrebte, hat der Pragmatiker Burkhart Jovy auch Kunstpelz und Materialien von der Webpelzrolle verarbeitet. „Weil es notwendig war und es nichts anderes gab.“
„Unsere Kundschaft blieb uns bis zuletzt treu“
Zum nächsten Umzug kam es 1982, als das Geschäft von der Johannisstraße an den heutigen Standort in der Kavalierstraße 70 (damals Wilhelm-Pieck-Straße) wechselte. Nach der Wende eröffnete Pelz-Jovy 1995 im Rathaus-Center ein 2. Geschäft, fast an der Stelle, wo in der Wallstraße vor 85 Jahren alles anfing. 2005 zog sich Jovy aus dem Handel zurück, arbeitete ausschließlich in die Werkstatt. „Unsere Kundschaft blieb uns bis zuletzt treu.“
Da florierte über Jahrzehnte die Ausbildung zum Kürschner und Staffierer (Pelznäher). Unterm Strich hatte Burkhart Jovy etwa 55 Lehrlinge und von ihnen etwa 25 bis zur Meisterprüfung geführt. In Spitzenzeiten hatte die Werkstatt bis zu 18 Mitarbeiter, im Durchschnitt zehn. Der letzte Jovy-Azubi lernte das alte Handwerk 1995. „Vielleicht führt es mal einer fort“, hatte der Firmenchef bis zuletzt gehofft. Aber dazu ist es nicht gekommen.
Die Tür ist abgeschlossen. Burkhart Jovy lässt sich nichts anmerken. Aber Ehefrau Helga hat Tränen in den Augen. (mz)