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Hochzeit in Nachkriegszeit Hochzeit in Nachkriegszeit: Waltraud und Erhard Wiecker aus Dessau-Törten sind seit 70 Jahren verheiratet

Von Silvia Bürkmann 04.10.2018, 12:14
Die Eheleute Waltraud und Erhard Wiecker konnten am Dienstag ein besonderes Ehejubiläum feiern.
Die Eheleute Waltraud und Erhard Wiecker konnten am Dienstag ein besonderes Ehejubiläum feiern. Lutz Sebastian

Dessau - Der Wind war recht kalt und pfiff, doch machte vor 70 Jahren viel Sonnenschein den 2. Oktober zu einem freundlichen Tag: An jenem Sonnabend gaben sich Erhard und Waltraud Wiecker im sächsischen Freiberg das Ja-Wort. Zunächst auf dem Standesamt, dann in der Kirche.

Es war Nachkriegszeit und das Fest bescheiden. Vertrieben aus Ostpreußen, teilten sich Waltrauds Eltern noch 1948 in der alten Bergbaustadt in einer Wohnung die Unterkunft mit drei Flüchtlingsfamilien. Im Garten waren ein paar Kaninchen für den Braten aufgepäppelt worden, eine Freundin kochte Rote-Bete-Pudding - „das wurde schon ein komplettes Festessen“, erinnert sich Waltraud Wiecker lächelnd.

Im Zug mit einem Sack Mehl als Geschenk

Eine Szene vor dem großem Tag aber bleibt umso lebhafter in Erinnerung, je absurder sie heute erscheint: Ihre Schüler hatten den angehenden Neulehrern eine besondere Freude machen wollen und für den Hochzeitskuchen reihum Mehl gesammelt. Erhard kam mit dem wertvollen Geschenk im Zug aus Thüringen nach Freiberg. Beim Umsteigen in Chemnitz wurde der komplette Zug geräumt und das Gepäck der Reisenden gefilzt nach Waren vom oder für den Schwarzmarkt.

Hamsterfahrten, handeln, tauschen - so sah nach 1945 der Lebensalltag aus, um dem Hunger zu entkommen. Kartoffeln, Eier oder Speck waren wertvoller als Perlen. Die Städter also fuhren zu den Bauern aufs Land und tauschten ihren möglicherweise letzten Schmuck gegen Essen. Bahnhöfe an Zugstrecken waren die „Supermärkte“ der Zeit, der Handel auf dem Schwarzmarkt aber offiziell verboten.

Seit 1952 ist Dessau der gemeinsame Lebensmittelpunkt der Wieckers

Auch die kleine Mehltüte, die Erhard Wiecker mitführte, drohte beschlagnahmt zu werden. Dann aber konnte der Bräutigam den gestrengen Kontrolleur doch noch zum Einlenken bewegen: Typisch deutsch eben mit einem offiziell gestempelten Formular, auf dem das sogenannte „Aufgebot“ für die Eheschließung am 2. Oktober bestellt worden war. Da wird doch die angehende Schwiegermutter noch einen Kuchen backen dürfen? Sie durfte.

Nach diesem heiklen Start haben sich die Jahrzehnte des gemeinsamen Lebens der Wieckers immer enger zusammengefügt. Seit 1952 ist Dessau der gemeinsame Lebensmittelpunkt. Der in Fräsdorf bei Köthen geborene Erhard war in Dessau zur Schule gegangen. Kurz vor dem Abitur wurde er noch in den Krieg eingezogen - erst zur Flugabwehr, dann ins letzte Aufgebot von Hitlers Wehrmacht. „Möge es jetzt doch dabei bleiben und nie wieder Krieg geben“, wünschen sich die Ehejubilare zur Gnadenhochzeit.

Das Arbeitsleben verband die Eheleute auf beruflicher Ebene – beide waren Lehrer mit Herz und Seele

Die englische Kriegsgefangenschaft führte tatsächlich zur entscheidenden Begegnung der jungen Leute - in einem Kuhstall. Beide 1926 geboren, arbeiteten auf einem Hof in Niedersachsen. Das aus den ostpreußischen Masuren geflohene Mädchen molk die Kühe, der Kriegsgefangene mistete den Stall aus, fütterte die Schweine und versorgte die Pferde. Es hat gefunkt.

Das Arbeitsleben verband die Eheleute dann noch auf beruflicher Ebene. Beide waren Lehrer mit Herz und Seele. Zum Anfang gemeinsam in der Schule Törten, dann ging Erhard in die Tempelhofer Straße und bis zum Ruhestand 1991 in der Kreuzbergstraße. Waltraud Wiecker unterrichtete bis 1986 an der Oberschule in der Peterholzstraße, heute Walter-Gropius-Gymnasium. „Wir sind beide sehr gern Lehrer gewesen“, blicken beide zurück.

Die Familie ist groß geworden, bleibt aber im Kern dicht beisammen. Zwei Töchter und drei Enkelkinder blieben mit ihren Familien in Dessau. Traudlinde und Schwiegersohn Manfred Hoffmann sogar im gleichen Haus im Törtener Lerchenweg. Von fünf Enkeln zogen zwei weg, nach Bad Doberan an die Ostsee und nach Merseburg. Zehn Urenkel haben die Wieckers inzwischen. (mz)