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Hochwasser im August 2002 Hochwasser im August 2002: Küchenbreitesiedlung war von der Stadt abgeschnitten

Von Heidi Thiemann 24.08.2017, 08:43
Das Hochwasser 2002 steht in der Roßlauer Straße Am Schlossgarten. Unternehmer Andreas Thauer hatte Sand angefahren, die Sandsäcke wurden gleich von der Ladefläche aus befüllt.
Das Hochwasser 2002 steht in der Roßlauer Straße Am Schlossgarten. Unternehmer Andreas Thauer hatte Sand angefahren, die Sandsäcke wurden gleich von der Ladefläche aus befüllt. Archiv/Walter Flohr

Roßlau - Schmuck ist es geworden, das Rund mit Bänken und Feuerstelle. „Hier treffen wir uns regelmäßig zum Feiern“, sagt Joachim Winterscheidt. Und wäre die Flut 2002 nicht gewesen, wer weiß, ob es die grüne von Hibiskus umstandene Ecke in der Küchenbreite heute geben würde. „Das Hochwasser hat uns Bewohner zusammengeschweißt.“

2002 im August aber war niemandem nach Feiern zumute. Ganz langsam, aber unaufhaltsam kam das Wasser in der Eigenheimsiedlung an. Der Deich hinter der Wasserburg hatte den Elbefluten nicht standgehalten. Das Wasser stand zuerst im Hof der Burg. „Ich habe die Feuerwehr gerufen“, sagt Christa Winterscheid. „Dort war man überrascht.“ Denn als der Landkreis Anhalt-Zerbst, dem Roßlau damals noch angehörte, Katastrophenalarm ausgelöst hatte, blieb man in der Schifferstadt ganz ruhig. „Das Hochwasser fließt an der Stadt vorbei“, war sich Bürgermeister Klemens Koschig am 14. August 2002 sicher. „Deshalb beschäftigen wir uns mehr mit den Auswirkungen auf das Heimat- und Schifferfest.“

14. August: Für den Landkreis Anhalt-Zerbst wird Katastrophenalarm ausgerufen. Im Roßlauer Schloßgarten wird Bewohnern vorsorglich geraten, sich auf eine Evakuierung einzustellen. Das 12. Heimat- und Schifferfest (22. bis 25. August) soll stattfinden.

15. August: Die Rossel fließt nicht mehr in die Elbe ab. In der Hauptstraße steht das Wasser.

17. August: Sandsackbarrieren schützen die Roßlauer Südstraße. Stauwasser der Rossel wird herausgepumpt.

18. August: Elbe erreicht im Hafen Höchststand: 7,26 Meter.

20. August: 12. Heimat- und Schifferfest wird abgesagt.

21. August: Vermisster wird tot aus Hafenbecken geborgen. Er war betrunken hineingefallen.

24. August: Das Aufräumen in Roßlau beginnt.

27. August: Katastrophenalarm im Landkreis Anhalt-Zerbst wird aufgelöst.  

Evakuiert und doch da

Am Tag später aber war das Wasser da - die Rossel konnte nicht abfließen in die Elbe. Das Wasser floss in die ungeschützte Ölmühle, nahm die Schloßstraße ein und machte auch aus dem unteren Teil der Hauptstraße einen See.

In der Südstraße wurden tausende Sandsäcke verbaut, um die Stadt zu schützen. Die Küchenbreitebewohner waren dadurch in der Mausefalle - abgeschnitten von der Stadt. Wären nicht private Firmen gewesen, die Sand anfuhren und rund 30 Schüler, die den Bewohnern geholfen hätten, selbst einen Deich (50 Meter lang, ein Meter hoch) zu errichten, vermutlich wäre das Wasser viel weiter vorgedrungen. Die Stadt, schimpfte Anwohnerin Rosemarie Parey damals, habe nichts gemacht. „Wir wussten, wir saufen ab.“

Von der Elbe kam eine Hiobsbotschaft nach der anderen, erinnert sich Joachim Winterscheid an die dramatischen Tage. Als dann die Deiche bei Pratau und in Waldersee brachen, „war das unser Glück“. So stand das Wasser „nur“ bis zu 1,20 Meter in den getäfelten, zu Wohnzimmern ausgebauten Kellern.

Strom und Wasser wurden abgestellt, die Küchenbreite evakuiert - und doch waren etliche Bewohner in Absprache mit dem THW täglich da. „Wir haben abwechselnd Wache gehalten“, sagt Winterscheidt. Im Dunkeln half man sich mit Kerzen. Und weil die Tiefkühltruhen zwangsabgetaut wurden, mussten alle Vorräte aufgebraucht werden. Doch wie backen und kochen? Auch hier gab es Nachbarschaftshilfe von Marion und Dieter Büscher aus der Hauptstraße.

Nicht nur darüber wird erzählt, wenn die Küchenbreitebewohner jeden Sommer zusammensitzen in der lauschigen Ecke. Dann wird sich auch erinnert, wie es war, evakuiert zu werden. 50 Säcke voller Papier hatte Bärbel Redmann gerettet. „Das waren Schulbücher und Unterrichtsmaterialien“, schmunzelt die damalige Lehrerin an der Dessauer Schule Willy Brandt. An Unterricht war im August 2002 freilich nicht zu denken. Die Schule diente den Feuerwehren als Übernachtungsquartier.

Neuer Deich und Schöpfwerk

Als die Elbe sich endlich zurückgezogen hatte, blieb die Brühe in den Küchenbreite-Kellern. Tagelang war Pumpen angesagt und die Sorge, ob die Feuchtigkeit nicht doch die Wände hoch in die Wohnräume zieht. Das Wasser hat auf alle Fälle bis heute seine Spuren hinterlassen - Risse erinnern daran. Doch sicher leben? „Natürlich können wir das“, sagt Joachim Winterscheidt. Im Roßlauer Oberluch hatte das Land 2009 die erste Deichrückverlegung an der Mittleren Elbe abgeschlossen.

Der alte Deich (3,2 Kilometer lang) wurde ersetzt durch einen stadtnahen und nur noch 1,2 Kilometer langen, der bei der Burg Roßlau beginnt. 2006 wurde der alte Deich geschlitzt. Dadurch erhielt die Elbe 140 Hektar ihres natürlichen Überschwemmungsgebietes zurück. Und danach wurde die Roßlauer Südstraße ertüchtigt und im November 2014 das Schöpfwerk an der Rossel fertiggestellt. Als aber bereits 2013 ein noch höheres Hochwasser als 2002 auf die Stadt zukam, blieb die Küchenbreite auf dem Trockenen. „Damals hatte man gut reagiert und aus den Fehlern 2002 gelernt.“, sagt Bärbel Redmann. (mz)

Können heute wieder lachen: Bärbel Redmann, Joachim und Christa Winterscheidt aus der Küchenbreite in Roßlau.
Können heute wieder lachen: Bärbel Redmann, Joachim und Christa Winterscheidt aus der Küchenbreite in Roßlau.
Lutz Sebastian
Kein Hinauskommen aus der Küchenbreite: Der Sandsackwall schützt die Südstraße vor drohenden Wassermassen.
Kein Hinauskommen aus der Küchenbreite: Der Sandsackwall schützt die Südstraße vor drohenden Wassermassen.
Sebastian
Der Deich hinter der Wasserburg ist gebrochen.
Der Deich hinter der Wasserburg ist gebrochen.
Sebastian