Hellmuth Karasek Hellmuth Karasek: Wie «Mope» den «Gellmuth» rettete
Bernburg/MZ. - Einst ist Hellmuth Karasek ein Bernburger gewesen. Der Autor und bekannte Literaturkritiker kam 1946 mit seinen Eltern in die Saalestadt. 1952 legte er am hiesigen Carolinum, das damals EOS "Karl Marx" hieß, sein Abitur ab. "Auf der Flucht" heißt sein Buch, das den Weg der Familie Karasek aus Polen nach Deutschland schildert.
Einige der Passagen, die in Bernburg an der Saale spielen, las der Schriftsteller am Mittwochabend auf Einladung der Kulturstiftung im Grünen Salon des Schlosses vor. Der Lesende plauderte beschwingt und oft heiter, die Zuschauer, zahlreich erschienen, lagen ihm zu Füßen und die Veranstaltung erfüllte den selbst gesetzten unterhaltsamen Anspruch.
Angenehm, dass es nicht so perfekt war: Da fiel ein Lesezeichen aus dem Buch, die Stelle war nicht auf Anhieb zu finden, da schweifte der Mann in Jeans und Sakko beim Lesen auch einmal ab, wenn die Erinnerungen kamen.
Das Buch und auch die Lesung sind einzuordnen in die erstaunliches Interesse findenden 60. Jahreswiederkehr des Kriegsende. Der 1934 im tschechischen Brünn Geborene ist einer der Zeitzeugen, die sich als damals Heranwachsende an Hitlerzeit und Nachkrieg erinnern können. Der 71-Jährige sah alles lebendig vor sich, als wäre er erst gestern dort gewesen: das Theater, die funktionierende Blumenuhr, das Carlsgymnasium.
"Meine erste städtische Welt", bekennt einer, der aus den großen Städten des Westens kommt und heute in Hamburg beheimatet ist. Das ist Liebe zu Bernburg.
Während seines Vortrages aus den Jugenderinnerungen ging der Zurückschauende sehr ins Detail. Was gut für alle war, die das Bernburger Leben, seine Penne oder das Theater aus eigenem Erleben kennen.
Ein richtiges Denkmal hat er in seinem Werk "Mope" Kersten gesetzt, dem langjährigen und äußerst beliebten Mathematiklehrer der Oberschule. Kersten, dessen fachliche Kompetenz noch heute keiner seiner ehemaligen Schüler den Respekt verweigert, ist Karaseks Klassenlehrer gewesen. Ein Klassenlehrer mit Zivilcourage. Denn Kersten hat Karasek vor dem Rauswurf von der Schule geretttet.
Die Geschichte: Eine gekränkte Russischlehrerin legte dem "Gellmuth" und einigen seiner Klassenkameraden einen Lausbubenstreich im Unterricht politisch aus: "Sie sabotierten den Russischunterricht" schrieb sie ins Klassenbuch. Damit setzte die überparfümierte Sprachausbilderin die schulamtliche Inquisition in Gang. Die Schüler wurden vor eine Kommission zitiert.
"Mope" stellte sich geschickt vor seine Leute und riet ihnen, in die Offensive zu gehen und Gleiches mit Gleichem zu vergelten: So sagten sie alle auf Anraten ihres Beschützers aus, nicht sie, sondern die Lehrerin habe sie am Erlernen ihrer Lieblingsprache, vom Russisch abgehalten. Das wirkte. Am Ende ging die Lehrerin.
Das Beispiel zeigt: Es gab solche und solche Lehrer im sozialistischen Schulbetrieb. Es war außerdem möglich, an einer EOS zu unterrichten und dabei menschlich und loyal zu bleiben.
Zum Ausklang des Abends trat Rührung in Karaseks Augen: Einstige Pennäler und Bekannte hatte im Fotos und Dokumente aus seiner Bernburger Zeit mitgebracht. Beim Signieren seines Buches "Auf der Flucht" bewies Karasek Langmut: "Ich gebe gern Autogramme mit lila Tinte".
Der Kulturstiftung ist für einen gelungenen Abend zu danken. Schade, dass die Exemplare am Ende nicht für alle Interessenten gereicht haben.