Harmonie in tausend Falten
Halle/MZ. - Einmal trat Josef Albers mit einem Packen Zeitungenunterm Arm vor den Vorkurs: "Ichmöchte, dass sie jetzt die Zeitungenzur Hand nehmen und mehr daraus machen, als es im Augenblickist. Ich möchte auch, dass sie dasMaterial respektieren, es sinnvollgestalten. Wenn sie das ohne Hilfsmittel wie Schere oder Leim schaf
fen, um so besser." Der Bauhausschüler Hannes Beckmann hat diese Anweisung überliefert. Die dann im Vorkurs entstandenen Figuren wischte Albers freilich vom Tisch.
Papier hat also im Bauhaus auch in der dritten Dimension Tradition. Als der brasilianische Faltkünstler Paulo Mulatinho am ersten Bauhaus-Kolleg im Jahr 2000 teilnahm, wurde in der Buchhandlung des Bauhauses gefaltet. Im vorigen Jahr trafen sich Origami-Künstler zu einem Kongress am Bauhaus. Nun zeigt die japanische Papierfaltkünstlerin Tomoko Fuse ihre Ausstellung "spiral + unit" im Meisterhaus Muche.
Das japanische "ori" heißt falten und "gami" (kami) Papier. Buddhistische Mönche sollen das Papier von China nach Japan gebracht haben. Dort wurde die Kunst des Faltens zum Bestandteil von Zeremonien. Leonardo da Vinci beforschte mittels gefalteten Papiers Bewegungen. Und der Vater der Kindergärten, Friedrich Fröbel, nutze die Technik für die Vermittlung der Geometrie. "Das berührt die Seele. Das ist Geometrie", sagt Mulatinno im Atelier von Muche und fügt erstaunt hinzu: "Von einer Frau". Den viel gefalteten Kranich findet man hier nicht. Unit Origami ist auch bekannt als Modular Origami. Im Gegensatz zur klassischen Variante, bei der nur ein einziges Blatt genutzt wird, werden hier mehrere gleiche Einheiten zu einem Objekt zusammen gesetzt.
Diese erscheinen im Haus Muche beinah wie industriell gefertigte Endlos-Variationen in erstaunlich unbekümmerten Farben. Zudem finden sich in der Ausstellung raumgreifende Polyeder neben beinah zärtlichen, kleinen Spiralen, die sanft über verschiedenen Grundform anwachsen. Auch einige biomorphe Körper sind zu sehen und Reliefs, die in ihrem nun natürlichen Material Webmustern ähneln. Manchmal zu recht, meist zu unrecht bestaunt man eher die Technik als die Gegenstände. Ist das Falten eine Meditation? Fuse lässt sich das Wort Meditation in den elektronischen Übersetzer tippen. Dann erschallt ein eindeutiges "Yes". Die 1951 geborene Autorin zahlreicher Origami-Bücher hat landwirtschaftliche Chemie und Gartenbau studiert. Heute lebt sie zurückgezogen im Wald, in einem alten Tempel mit ihrem Mann und ihrer Katze Kiko. "In Japan ist jedes Wesen ein Gott", sagt Mulatinho. Nach einer japanischen Legende bekommt, wer tausend Kraniche faltet, von den Göttern einen Wunsch erfüllt. Wer Harmonie wünscht, muss ins Haus Muche gehen.
Ein Workshop mit Tomoko Fuse findet am Freitag, 16 Uhr, im Meisterhaus Muche statt.