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Harmlose Dichterfehde im Kiez beendet die Herbstlese

Von Thomas Altmann 15.11.2004, 20:22

Dessau/MZ. - Poetry Slam zum Abgesang der Herbstlese gehört zur Tradition. Holzstühle statt Polstersitz, Kneipe statt Lesesaal, die Dichterfehde ist umgezogen von der Landesbücherei ins Kiez.

Man trinkt Bier oder Wein. Manche kauern auf dem Boden. Das Bühnenbild ist in Ordnung. Jetzt könnten die Dichter in den Ring steigen, um im Höchstmaß von fünf Minuten schlagende Miniaturen zu offerieren. Erst einmal sitzt Olaf Wendel am Mikrophon und hält einen Grundkurs in Sachen Poetry Slam.

Etwas zäh öffnet er die Tür zur Subkultur. Zwölf Kandidaten ziehen in den Kampf. Die Trennung der Geschlechter scheint perfekt. Es gibt viel Gefühl aus femininen Mündern und Satire als Männersache, Ausnahme inbegriffen. Eine solche bildet Lyriker Peter Fochmann. Seine Sprache hätte den Lorbeerkranz verdient.

Aber Slam ist eben anders. Die Jüngsten im Ring, vier Freundinnen, schreiben ehrliche Gedichte für ihre Liebe, voll Lust und Leid, gereimte Tagebuchnotizen. Hatte Goerg Langlhofer für seine schwarze Persiflage aufs Horoskop im Vorjahr den Whisky gewonnen, so kann er diesmal nicht zünden. Zeit- oder Erfolgsdruck? Slam ist auch in der weichen Form hart.

Dabei hat Wendel alles liebevoll organisiert, auch das Procedere der Wertung. Jeder aus dem Publikum kann drei Lorbeerblätter an seine Favoriten verteilen. Platz drei: Thomas Leo Kottke. Über den schwarzen Humor seines ersten Gedichtes darf man noch lachen. Dann fährt "ein Neger" Straßenbahn. Sie bremst. Er fällt. Blut fließt. "Schwarzfahren" lohne nicht. Kottke liefert nicht nur Reime in Pressform, sondern betreibt primitive Effekthascherei, bis der schwarze Humor die Farbe wechselt.

Null Punkte hier auch für die Jury. Wenigstens Wendel konstatiert: "Tabubruch". Eingekeilt zwischen blasierter Ignoranz und einer köstlichen Zote landet Agnes Julia Zsikin auf Platz zwei. Sie streichelt zerbrechliche Gefühle in den Raum, leidet an der Leidlosigkeit und setzt ein zartes Trotzdem dagegen. Nicht völlig frei von Formeln fließt die Sprache zuweilen sensibel wie ihr Ansinnen.

"Ehe- und Staudammbruch", Ingwin Voigtländer erhält für seine Ost-Burleske mit pikant politischen Familienquerelen den Lorbeerkranz. Hauptfigur im Sippenklamauk zur Goldenen Hochzeit der Großeltern ist ein jugendlicher Fußballfan. Der flutet nicht nur das Dorf, sondern wird von der Tante in die Vorratskammer gezogen. Sein Orgasmus: "Und dann war mir, als müsste aus dem Hintergrund Rahn schießen. Rahn schießt...".

Ein anderer Treffer ist der Umzug. Jetzt fehlen dem Poetry Slam nur noch die Knaller.