1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Hammer-Prozess in Dessau: Hammer-Prozess in Dessau: 14 Metallplatten im Kopf - Jetzt spricht erstmals das Opfer

Hammer-Prozess in Dessau Hammer-Prozess in Dessau: 14 Metallplatten im Kopf - Jetzt spricht erstmals das Opfer

Von Thomas Steinberg 19.12.2019, 09:58
Seit Ende November läuft der „Vorschlaghammer“-Prozess am Landgericht.
Seit Ende November läuft der „Vorschlaghammer“-Prozess am Landgericht. Thomas ruttke

Dessau - Nie werde er die Worte vergessen. Enrico S. stand an der Tür eines Pick-ups und sagte: „Das ist die Nacht der Nächte - und morgen wirst du nicht mehr sein.“

Steffen N. (Name geändert) rannte los. Rannte um sein Leben. Verlor unterwegs, was er gerade an Krempel aus seinem Auto geladen hatte und in den Händen und unter Armen trug.

Vor dem Landgericht Dessau sagte am Mittwoch zum ersten Mal der Mann aus, der am 12. Januar dieses Jahres in der Reinickestraße in Dessau-Nord halb tot geprügelt worden war - mit einem Baseballschläger und wohl auch einem Vorschlaghammer.

Opfer kann nach brutalem Angriff alltägliche Dinge nicht behalten

14 Metallplatten und entsprechend viele Schrauben halten seinen Körper und Schädel zusammen. Alltägliche Dinge behält N. nicht mehr - „ich muss mir alles aufschreiben“. Immerhin: Er verfügt über eine stabile Psyche, verspürt keine Ängste, leidet nicht unter Schlafstörungen.

Opfer N. und der Hauptangeklagte S. hatten sich im Sommer vorigen Jahres kennengelernt, so erzählt es S. Und irgendwie fand N. es cool, zur Gruppe von S. zu gehören. Der hatte gerade versucht, eine Baufirma zu etablieren. „Ich hatte in seiner Hood keine richtige Aufgabe und wurde Fahrer.“ S. besaß einen dicken BMW, aber keinen Führerschein. N. sagt, er wurde ständig angerufen, um S. oder einen seiner Leute zu fahren, auch mitten in der Nacht.

Irgendwann sei es ihm zu viel geworden, er habe erklärt, so gehe das nicht. „Dann fingen die Drohungen an.“ N. erzählt von Anrufen, von Beschimpfungen auch auf Facebook. Es sei behauptet worden, er verkaufe Drogen an Kinder. N. wusste, irgendwann würde er dran sein.

Opfer spricht von einer "Gewaltorgie" und berichtet von weiteren, nicht angezeigten Gewaltakten zuvor

S., so schildert es N., habe in dieser Zeit eine „Gewaltorgie“ ausgelebt. Einige Anklagepunkte könnten diese Ansicht stützen. N. spricht zudem von Gewaltakten, die nie angezeigt worden seien. Der Grund für das aggressive Auftreten von S.: Geldmangel. Das Baugeschäft sei nicht gelaufen, S. habe versucht, Geld zu erpressen. Und er habe Dealer in der Stadt zwingen wollen, bei ihm Stoff zu kaufen. Dieser sei weder gut noch preiswert gewesen, damit überzeuge man keinen. Also müsse man es mit Gewalt versuchen. N. hat Wirtschaft studiert, er weiß, wie Märkte - letztlich auch illegale - funktionieren.

Das sind erst einmal Aussagen eines Zeugen und noch keine bewiesenen Tatsachen. Bemerkenswert indes, dass die Vorsitzende Richterin Uda Schmidt sich dennoch ausführlich nach solchen Umständen erkundigte, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Anklage stehen.

Den Überfall in der Reinickestraße hatten bereits zwei Angeklagte eingeräumt. Einer hatte behauptet, N. habe mit S. gestritten, eine Machete gezückt, dann erst sei er attackiert worden. Die Spuren am Tatort scheinen indes darauf hinzudeuten, dass N. sofort weggerannt ist, als S.’s BWM und ein Pick-up neben ihm hielten.

Und ja, er habe irgendwo in seinem Zeug ein Hackmesser aus der Küche dabei gehabt, das er schon am Boden liegend irgendwie zu greifen bekommen und damit einmal zugeschlagen habe. Er habe es nicht als Waffe bei sich geführt, es sei einfach unter dem ganzen Krempel gewesen, den er aus dem Auto geholt habe.

War die Begegnung im Dessauer Norden nicht zufällig?

Auch die Behauptung vom Angeklagten, die Begegnung mit N. sei zufällig gewesen, stellt sich nach dessen Aussage etwas anders dar. Denn zwei Stunden vor der Tat sah sich N. auf dem Weg von Roßlau nach Dessau von einem weißen BMW verfolgt. Das, sagt er, sei S.’ Fahrzeug gewesen. Er habe das Auto abhängen können, seine Beifahrerin an einem sicheren Ort gebracht und sei erst dann nach Nord gefahren.

Dass er immer noch in akuter Gefahr schwebte, schien N. nicht bewusst gewesen zu sein, sonst hätte er wohl kaum in aller Seelenruhe sein Auto ausgeräumt und hätte sich eine andere Bleibe als seine Wohnung gesucht. Der Prozess wird am Freitag dieser Woche im Landgericht fortgesetzt. (mz)