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Glas, Pfenninge, Wehrmachtsausrüstung Glas, Pfenninge, Wehrmachtsausrüstung: Forscher holen in Dessau Bauhaus-Geschichte aus Erdreich

Von Tim Fuhse 21.04.2018, 12:00
Grabungsleiter Felix Rösch präsentiert ein Artefakt aus den Tiefen der Erdschichten im Gartenareal.
Grabungsleiter Felix Rösch präsentiert ein Artefakt aus den Tiefen der Erdschichten im Gartenareal. Lutz Sebastian

Dessau - Noch ein wenig kratzen und schaben, dann ist das Artefakt freigelegt. Vorsichtig ziehen die beiden Studenten einen verwitterten Aschekasten aus dem Erdreich. Grabungsleiter Felix Rösch blickt in die längliche Grube hinab.

„Das sind sehr schöne Befunde, die wir hier feststellen konnten“, sagt der Wissenschaftler der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bei archäologischen Arbeiten haben die Forscher neue Erkenntnisse über die Geschichte der Bauhaus-Siedlung in Dessau-Törten gewonnen. Am Donnerstag präsentierten sie ihre Funde erstmals der Öffentlichkeit.

Anfang des Monats haben die Wissenschaftler begonnen, die Außenanlage eines Laubenganghauses - seit vergangenem Sommer Welterbestätte - umzugraben. Durch den Gartenbereich hinter dem Haus in der Peterholzstraße 48 ziehen sich mehrere langen Furchen.

Das Areal der Bauhaus-Siedlung wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrmals umgestaltet

„Ziel ist es, den bauhauszeitlichen Stand zu erfassen“, erklärt Rösch. Das Areal wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrmals umgestaltet, zuletzt 1996. Dabei wurden auch ursprünglich angelegte Charakteristiken wie die Gartenparzellen der Bewohner und ein Spielplatz eingeebnet. Gerade arbeiten die Forscher an einem zehn Meter langen „Suchschnitt“, um die einstige Parzellenstrukturierung zu erfassen.

Hier und an anderer Stelle konnten sie allerhand verschüttete Gegenstände aus dem Erdreich zu Tage bringen. Neben viel Glas seien auch Reichspfennige und Wehrmachtsausrüstung aus der Weltkriegszeit gefunden worden. Sogar Reste einer Brandbombe hätten die Forscher entdeckt.

„Hier hat man Schutt und Symbole der Nazizeit loswerden wollen“, vermutet Grabungsleiter Rösch. Neben den Kampfmitteln entdeckten die Archäologen unter anderem auch Tonmurmeln, ein Spielzeugauto und einen bemalten Zinnsoldaten ohne Kopf. „Relikte der Kindheit“, wie Rösch es ausdrückt.

„Damals gab es eine Konkurrenz der Mieter untereinander, welcher Garten am schönsten ist“

Gerhard Oelschläger nickt. „Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als hier bis zu 20 Kinder gespielt haben“, erzählt er. Der Senior hat von 1949 bis 2004 im Laubenganghaus in der Mittelbreite 6 gewohnt und seine Kindheit dort verbracht. Oelschläger lässt den Blick über die Grünfläche schweifen.

„Das war herrlich - damals gab es eine Konkurrenz der Mieter untereinander, welcher Garten am schönsten ist“, erinnert er. Wie es damals wirklich zuging, das will auch Marthe Meyer erforschen. Dafür hat die Studentin der Dresdener Hochschule für Bildende Künste die Museumswohnung in der Peterholzstraße 40 auf den Prüfstand gestellt. In den Musterräumen können Besucher sich das historische Wohnen im Laubenganghaus in vermeintlich originaler Fassung vergegenwärtigen.

„Das, was wir hier sehen, weicht von meinen Ergebnissen ab“, stellt Meyer im Wohnzimmer des Museumsraums klar und berichtet: „Diese Räume waren deutlich schlichter gestrichen.“ Unter den heutigen Pastellfarben habe die Restauratorin ein abgetöntes Weiß gefunden.

Der spätere Bauhaus-Lehrer Ludwig Hilberseimer hat an der Konzeption der Bauhaus-Siedlung mitgearbeitet

Nicht die einzige neue Erkenntnis zur Welterbestätte. Der Kasseler Universitätsprofessor Philipp Oswalt, einst selbst Bauhaus-Direktor, hat sich durch die Archive gearbeitet und Interessantes entdeckt: Der spätere Bauhaus-Lehrer Ludwig Hilberseimer habe an der Konzeption der Siedlung mitgearbeitet. Ursprünglich sei eine Mischbebauung aus Laubenganghäusern und Flachbauten geplant worden.

„Die Familien sollten in den Flachbauten wohnen und die Singles in den Laubenganghäusern“, erklärt Oswalt und meint: „Sehr clever, das fördert die soziale Durchmischung.“ Gebaut wurden dann aber nur die Laubenganghäuser.

Wohnungsgenossenschaft Dessau plant Modernisierungsarbeiten an den Laubenganghäusern

Hilberseimers Vision fand erst später zu städtebaulichem Ruhm und wurde etwa in Detroit umgesetzt. „Diese wichtige Erfindung wurde ursprünglich hier gemacht“, betont Oswalt. Er schlägt vor, eine der Flachbauten in der benachbarten Mittelbreite 12 zu errichten.

Es wäre nicht die einzige Veränderung, die an der Welterbestätte ins Haus steht. Die Wohnungsgenossenschaft Dessau, vor rund 90 Jahren Auftraggeber und seitdem Besitzer der Laubenganghäuser, plant Modernisierungsarbeiten.

Unter anderem möchte sie die Außenanlage in der Peterholzstraße 48 umgestalten. Das Gartenareal soll zurück in seine bauhauszeitliche Form gesetzt werden. Grundlage werden die Erkenntnisse sein, die Grabungsleiter Rösch und sein Team zu Tage fördern. (mz)

Der „Suchschnitt“ soll Neues zum Originalaufbau offenbaren .
Der „Suchschnitt“ soll Neues zum Originalaufbau offenbaren .
Lutz Sebastian