Gaststätte "Waldschänke" Gaststätte "Waldschänke": Das Flugzeug-Café im Tierpark Dessau

Dessau - Die Landung in diesem baumumstandenen, fast bewaldeten Flecken Dessaus war ein viel bestaunter Coup. Vor genau 45 Jahren erhielt der Dessauer Tier- und Lehrpark in der Querallee eine neue Attraktion: Am 29. Dezember 1971 wurde das Flugzeug-Café eröffnet, vermeldete die damalige Tageszeitung „Freiheit“.
Darin wurde nicht über ein Flugmanöver oder Piloten-Meisterstück berichtet, sondern darüber, wie ein von der Interflug, der staatlichen Fluggesellschaft der DDR, ausgemustertes Passagierflugzeug vom Typ Iljuschin14 wieder aufgemöbelt und nachgenutzt wurde.
Ein Flugzeug zum Café umgerüstet
Es ging ganz einfach darum, die gastronomische Versorgung eines beliebten Ausflugzieles zu verbessern. Mit diesem Beschluss hatte die damalige Dessauer Stadtverordnetenversammlung auf Wünsche aus der Bevölkerung reagiert. Das wettergeschützte Café bot auch für die kalten Herbst- und Wintermonate die Möglichkeit für ein wärmendes Getränk, schrieb die Zeitung.
Die Einrichtung des Cafés wurde organisiert als ein Projekt der in der Nationalen Front zusammengeschlossenen Parteien und Massenorganisationen zum Teil in freiwilligen, zusätzlichen Wettbewerbsleistungen von Arbeitskollektiven verschiedener Betriebe, Firmen und Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH). Mit dabei waren unter anderem die Wi-We-Na-Möbelwerke, Waggonbau Dessau, Leichtmetallbau, die Holzwerke, Spezialbau Abus oder Elektro-Peters.
Zu tun war allerhand, um das ausgemusterte Passagierflugzeug vom Typ Iljuschin (IL) 14 umzurüsten zu einem kleinen Café mit 25 Sitzplätzen.
Die in der Sowjetunion gefertigte IL 14 bestand 1950 ihren Erstflug und ist eine zweimotorige, als Tiefdecker ausgelegte Propellermaschine. Das Flugzeug wurde sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt, zum Beispiel als Frachtflugzeug. Als Kurz- und Mittelstreckenverkehrsflugzeug war die IL 14 in nahezu allen osteuropäischen Ländern im Einsatz und konnte maximal 36 Passagiere aufnehmen.
„Im Flugzeug gab es Kaffee und Kuchen, Tee und Bockwurst“
Nach Dessau kam eine alte Interflug-Maschine. „Sie wurde vom Flughafen Berlin-Schönefeld in Einzelteilen, Rumpf und Flügel auf einem Tieflader in den Tierpark gebracht“, blättern Marie Guhrke und Sylke Diedering vom Verein „Tierparkfreunde Dessau“ in den Chroniken der 1958 eröffneten Einrichtung.
„Im Flugzeug gab es Kaffee und Kuchen, Tee und Bockwurst“, erinnert sich Vereinsvorsitzende Diedering dunkel, dass an dem engen Ort wohl nur schmale Kost ausgereicht wurde. Viel mehr fiel die Optik und das Ambiente ins Gewicht. „Es war eben ein echtes Flugzeug.“ Mit der Eröffnung der Gaststätte „Waldschänke“ in direkter Nachbarschaft konnten dann ab 1975 auch die Ansprüche an die warme Küche gesteigert werden.
Für die Tierparkbesucher aber blieb ein Blick in den Bauch der Iljuschin immer eine Attraktion, so wie die Kinder es liebten, an den Propellern zu drehen.
Letzte Rettung durch das Technikmuseum Hugo Junkers
Noch vor der politischen Wende aber schlug das letzte Stündlein für das Flugzeug-Café im Dessauer Tierpark. Kräfte des Dessauer Katastrophenschutzes bauten den Flieger während eines Frühjahrsputzes im Jahr 1988 auseinander. Die IL 14 wurde verschrottet. „Kurze Zeit später meldete sich noch einmal Berlin Schönefeld und wollte das Cockpit zurück. Das aber gab es schon nicht mehr“, findet Sylke Diedering einen nächsten Eintrag in der Chronik.
Ein Pendant der IL 14 aus dem Hause Interflug aber blieb Dessau doch erhalten: Im Technikmuseum Hugo Junkers in Alten kann bis heute der Flieger besichtigt werden. Auch diese Iljuschin war zuletzt ein Flugzeug-Café, aufgebaut auf der halleschen Peißnitz-Insel vor der Eissporthalle.
Von dort wechselte sie 1991 in Privathand nach Pulsforde bei Zerbst. Ein nächster Schrotthändler aus Schönebeck streckte bereits begehrlich die Finger aus, als die Mitstreiter vom Verein des Technikmuseums Hugo Junkers Wind von der Sache bekamen. Und 1999 die IL 14 in desolatem Zustand in ihre goldene Hände nahmen und wieder zum Schmuckstück herausputzten. (mz)


