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Finanzamt als Schattenreich

Von Thomas Altmann 19.07.2006, 16:04

Dessau/MZ. - Ob es zum Omen gereicht, dass im Finanzamt Dessau gegenwärtig Scherenschnitte die weißen Wände kontrastreich zieren? Eher weniger. Denn Irene Scharwächter-Mebes zwängt ihre Modelle in keinen Silhouettierstuhl, um Profile exakt abzuschatten. Auch von schattiger Symbolik sowie von adliger Empfindsamkeit und kleinbürgerlicher Beschaulichkeit sind diese Arbeiten einiges entfernt. "Ich mache keinen Kirmeskram", sagt die Papierschneiderin. Vielleicht hat sie auch "Krimskrams" gesagt.

Zur Eröffnung der Ausstellung vor wenigen Tagen war während Begrüßung und Laudatio, zweimal immerhin, zu hören, dass sie die "Käthe Kollwitz des Scherenschnitts" sei. Zu diesem Vergleich hat sich ein namentlich nicht erwähnter Kritiker erleuchten lassen. Man sollte sich eben hüten vor den Weisheiten der Zunft. Zumal der Künstlerin der vermeintlich schmeichelnde Vergleich keinen Gefallen erweist. Denn der Maßstab ist dann doch vermessen.

Die Intention des Vergleichs mag jedoch einsichtig sein. Denn die Papierschneiderin sucht, handwerklich bestechend, in kleinen und mittleren Formaten den großen Ausdruck, der gewöhnlich anderen grafischen Techniken vorbehalten ist. Bald wird sie weniger, bald mehr fündig. Beklemmend ausdrucksstark: "Gedenktage", beklemmend einsam: "Auf der Treppe", zwei Serigraphien nach originalen Scherenschnitten. Mag das Material, anfänglich der Nachkriegszeit entsprechend, sparsam sein, die Emotionen sind es nicht. Scharwächter-Mebes begnügt sich keineswegs mit dem Umriss des Charakters, muss diesen aber stilisieren. Der Technik geschuldet oder nicht, wirkt das zuweilen ein wenig schematisch, und bleibt doch erstaunlich. Denn alle Flächen und Linien in Schwarz bleiben verbunden. Und staunend darf man diskutieren, ob andere Techniken gegebenenfalls nicht doch anderes bewirken.

1925 in Leitzkau geboren studierte Irene Scharwächter-Mebes vor dem Krieg an der "Meisterschule für das gestaltende Handwerk" in Magdeburg und nach dem Krieg an der "Werkkunstschule" Wuppertal, wo sie später unter anderem als Kunsterzieherin arbeitete. Osten und Westen, die Problematik muss sie, die heute wieder in Leitzkau lebt, beschäftigen und führt ausgerechnet ins Reich der Geometrie. Das ist nicht die Abstraktion der Trauung, eher Schemata und Zeichen, die man eins zu eins lesen darf: Goldener Westen, roter Osten, Begegnungen und Kollisionen in den Nationalfarben. Eigens gibt es gar eine Legende. So bleibt die erklärte Sicht aufs Vaterland ein Kürzel mit beschränktem Eigenleben.

Aquarelle werden auch im Finanzamt Dessau gezeigt. Landschaften und Fassaden posieren in der Ausstellung beschaulich, ohne die Freiheit auszunutzen, die diese Technik erlaubt und fordert. Und dann ist da auch noch "Ji-Ja-Jette", eine Bildergeschichte aus den 50er Jahren. Jenseits der Grenze hatte ihr Bruder Heinz Mebes den Text verfasst, allerlei pfiffig gereimte Ungereimtheiten auf dem Weg vom Mädchen zur Frau. "Und Jette strebt samt Utensilien, stadteinwärts jetzt zu Frau Ottilien." Klingt wie Busch - oder?