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„Erinnerungen an die DDR“ „Es war da eine Zeit“: Wie blicken Dessauer auf Doku zum Zementanlagenbau Dessau

80 Dessauer sehen die Dokumentation und treffen auf einen alten Bekannten: Eckard Netzmann erklärt Planwirtschaft.

Von Thomas Steinberg Aktualisiert: 26.10.2021, 18:11
Eckard Netzmann in einer Werkhalle in Dessau.
Eckard Netzmann in einer Werkhalle in Dessau. (Foto: Thomas Steinberg)

Dessau/MZ - Das Wetter war schlecht, schlecht für die Einweihung. Nicht der leiseste Windhauch wehte, blau wölbte sich der Himmel über dem neuen Zementwerk. Und aus diesem rieselten talergroße Staubflocken auf die Gäste.

Eckhard Netzmann, 1976 als Direktor des Zementanlagenbau Dessau bestellt, stand peinlich berührt da. Ein polnischer Minister näherte sich ihm und verkündete auf deutsch, er habe sich kundig gemacht: Andere Firmen könnten staubfreie Zementwerke liefern. Aber ZAB dafür Staubfabriken.

Noch am gleichen Tag sicherte Netzmann zu, man werde die Sache in Ordnung bringen. Er schätze, das würde acht Millionen Mark kosten. Eigentlich kein Posten bei einem kompletten Zementwerk. Aber nicht, wenn dessen Lieferant in der DDR sitzt und mit Mark West-Mark gemeint sind.

Das Konzept des Films erweist sich sehr schnell als problematisch

Netzmann, Jahrgang 1938, war nur drei Jahre in Dessau, und doch schafft er es, 80 Gäste ins Technikmuseum zu locken. Dort zeigte am Sonnabend der Kiez e.V. den Film „Es war da eine Zeit. Erinnerungen an die DDR“, von Axel Geiss. Der lässt darin neben Netzmann Manfred Dahms zu Wort kommen, von 1975 bis 1990 Generaldirektor des Kombinats Kraftwerksanlagenbau sowie die Juristin und Hochschullehrerin Wera Thiehl.

Das Konzept des Films erweist sich sehr schnell als problematisch. Geiss hat seine Protagonisten aufgefordert, aus einer strengen Ich-Perspektive zu erzählen, und so werden Namen und Strukturen erwähnt, mit denen kaum ein Nachgeborener etwas anfangen kann. Dazu fehlt jeglicher dramaturgischer Bogen, nach spätestens einer Stunde beginnt die Aufmerksamkeit zu schwächeln, und die meist statische Kameraführung trägt das ihrige bei, Langeweile aufkommen zu lassen.

Für Netzmann blieb Dessau gleichwohl eine kurze Episode

Zurück aus Polen musste Eckard Netzmann seinen Vorgesetzten beibringen, dass sie gefälligst acht Millionen „Valutamarkt“ locker machen müssten. Das gelingt ihm auch. Und in der Folge gelingt es ZAB, die eigenen Produkte so zu verbessern, dass man sie als Lizenz an die österreichische Voestalpine AG verkaufen konnte oder für eine Milliarde Dollar vier eigene Werke nach Syrien.

Netzmann, erinnert sich Roland Bissot, heute Vorsitzender des Fördervereins Technikmuseum und einst Chefkonstrukteur bei ZAB, Netzmann sei immer zu den Protagonisten gegangen, nicht zu den Chefs.

 Filmvorführung und Diskussion  im Technikmuseum.
Filmvorführung und Diskussion im Technikmuseum.
(Foto: Thomas Steinberg)

Für Netzmann blieb Dessau gleichwohl eine kurze Episode. Er wurde Generaldirektor des riesigen Schwermaschinenbaukombinats „Ernst Thälmann“ in Magdeburg und in der Position von 1976 bis 1979 wichtiger als der Oberbürgermeister der Stadt, wie er sich amüsiert im Film erinnert. Getäfeltes Direktorenzimmer, zwei Sekretärinnen, und wenn er ein Fußballspiel des FC Magdeburg besuchte, wurde er offiziell begrüßt. Die kurze Zeit als ein stellvertretender Minister - die DDR leistete sich 30 Ministerien - hatte er als unglücklich in Erinnerung. Aber: Er hatte gehen müssen, sonst hätte man dem Kombinat Schwierigkeiten gemacht.

Nach 1990 setzt Netzmann seine Arbeit fort, nunmehr als Chef der Kraftwerks- und Anlagenbau AG

Das Ende der DDR erlebt Netzmann als stellvertretender Generaldirektor im Kombinat Kraftwerksanlagenbau. Und obwohl ihm spätestens in den 1970er Jahren klar war, dass die DDR gegen die Bundesrepublik ökonomisch nicht gewinnen konnte, weil man zu viel Geld für die Energieversorgung aufwendete, die Betriebe 20 Prozent der Belegschaft für soziale Zwecke beschäftige aber auch weil wir „10 Prozent fauler“ waren, stellt er in der kurzen Diskussion nach dem Film klar: „Ich habe den Untergang nicht herbeigeführt, gesehen oder gewollt.“

Nach 1990 setzt Netzmann seine Arbeit fort, nunmehr als Chef der Kraftwerks- und Anlagenbau AG. Und er berät unter anderem eine ZAB-Ausgründung, Thyrolf & Uhle. Wenn man dort anruft und fragt, ob man Netzmann in deren Hallen fotografieren dürfe, heißt es: Kein Problem, sogar falls niemand da sei. „Herr Netzmann kennt sich ja aus.“