1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Spionage-Kugelschreiber gefunden: Filmte Dessauer Polizist Einsätze heimlich mit versteckter Kamera? Behörde leitet Verfahren ein

Spionage-Kugelschreiber gefunden Filmte Dessauer Polizist Einsätze heimlich mit versteckter Kamera? Behörde leitet Verfahren ein

Ein Dessauer Polizeibeamter soll mit einer versteckten Kamera in einem Kugelschreiber Einsätze gefilmt haben. Auf den Aufnahmen sind Kinder, eine Privatwohnung und Menschen in schwierigen Lebenslagen zu sehen. Die Polizeiinspektion ermittelt gegen Unbekannt.

Von Oliver Müller-Lorey Aktualisiert: 25.01.2023, 18:19
Ein Polizist soll heimlich Einsätze, wie diesen in einem Parkhaus, mitgefilmt haben. Im Original sind die Gesichter unverpixelt.
Ein Polizist soll heimlich Einsätze, wie diesen in einem Parkhaus, mitgefilmt haben. Im Original sind die Gesichter unverpixelt. (Screenshot: MZ)

Dessau/MZ - Die Szenen erinnern an Vorabendsendungen des Privatfernsehens, in denen Polizisten von einem Kamerateam bei ihren Einsätzen begleitet werden: die Jagd nach Graffiti-Sprayern in einem Parkhaus und ein Einsatz in einer kleinen Wohnung, deren Mieterin gerade mutmaßlich Opfer häuslicher Gewalt geworden ist.

Alltag für Beamte der Polizei. Nur, dass das Videomaterial nicht von einer Fernsehkamera, sondern mutmaßlich von einer in einem Kugelschreiber versteckten Mini-Linse heimlich aufgenommen wurde. Von einem Polizisten während seiner Dienstzeit.

Anonymes Schreiben landet im Dezember in der MZ-Redaktion in Dessau

Es ist Dezember, als ein kleines Päckchen die MZ-Redaktion in Dessau erreicht. In dem Umschlag ohne Absender stecken ein auf den ersten Blick gewöhnlicher Kugelschreiber und ein USB-Stick. Er oder sie habe, so der anonyme Absender in einem kurzen beigelegten Brief, den Stift in der Nähe des Dessauer Polizeireviers gefunden und die kleine Linse unterhalb des Clips entdeckt. In dem Stift befinde sich eine SD-Karte. „Auf dieser sind mehrere Videos gespeichert. Diese zeigen Einsätze der Polizei. Die Videos übersende ich Ihnen mittels USB-Stick“, schreibt der unbekannte Absender.

Im Kugelschreiber ist eine Speicherkarte versteckt. Die Mini-Linse befindet sich oberhalb des Metallclips.
Im Kugelschreiber ist eine Speicherkarte versteckt. Die Mini-Linse befindet sich oberhalb des Metallclips.
(Foto: Thomas Ruttke)

Tatsächlich steckt in dem Stift eine SD-Karte. Die Videos haben es, zumindest was den Datenschutz anbelangt, in sich. Gesichter und Kennzeichen, die im Fernsehen gepixelt, Namen und Telefonnummern die weggepiept würden, sind ohne Schwierigkeiten zu sehen beziehungsweise zu hören.

Vier verschiedene Einsätze wurden mit der Kamera in Dessau aufgenommen

Ein Ausschnitt: Video eins. Ein junger Mann im Karohemd steht vor einem Plattenbau und bekommt vom filmenden Polizisten einen Zettel ausgehändigt. Clip zwei: Der Polizist und ein Kollege steigen ein für Neubauten typisches Treppenhaus hoch, sie klingeln. „Machen Sie mal bitte die Tür auf, Polizei!“ Es öffnet eine dem Anschein nach betrunkene Frau im emotionalen Ausnahmezustand.

„Uns wurde gemeldet, dass eine Frau laut schreit: ,Lass mich in Ruhe’“. Ob es ihr gut geht, wollen die Beamten wissen. Sie reden fast zehn Minuten mit ihr, immer wieder bricht die Frau in Tränen aus, beantwortet die Fragen nicht eindeutig, erzählt von ihren Problemen. Als sich die Beamten vergewissert haben, dass keine Gefahr für die Frau besteht, verlassen sie die Wohnung.

Über dem Clip ist die Linse zu erkennen.
Über dem Clip ist die Linse zu erkennen.
(Foto: Thomas Ruttke)

Die dritte Aufnahme zeigt die Personenkontrolle eines im Obdachlosenheim wohnenden Mannes, der seine Personalien nicht nennen will. Mit auffallend viel Geduld redet der filmende Beamte auf ihn ein.

Der letzte Clip ist so lange, dass er in mehrere Videos unterteilt ist. Nach jeweils zehn Minuten fängt die Kamera einen neuen Abschnitt an. Polizisten wollen in einem Parkhaus einen Sprayer stellen, treffen aber nur auf Kinder, die das Gebäude als Abenteuerspielplatz nutzen. Wieder gibt sich der filmende Polizist, dessen Namensschild sich an einer Stelle in einer Scheibe spiegelt, verständnisvoll. Es sei gefährlich im Parkhaus, bläut er den Kindern ein. Dann fährt er im Streifenwagen davon. Wie in den anderen Videos endet der Clip mit einem knackenden Geräusch, so, wie wenn auf ein Mikrofon gefasst wird.

Völlig offen ist, warum der Beamte sich, Bürger und Kollegen bei der Arbeit filmte. Missstände oder Fehler sind nicht zu sehen. Für wen war das Videomaterial gedacht? War es eine Absicherung, falls ihm Fehlverhalten im Dienst vorgeworfen wird? Wollte er auf etwas hinweisen?

Polizeiinspektion Dessau ist durch die MZ-Anfrage alarmiert

Was auch immer die Gründe sind, in der Polizeiinspektion Dessau ist man alarmiert. Der Behördenleitung sei nicht bekannt, dass Polizisten ihre Einsätze mit versteckten Kameras dokumentierten und würde das auch nicht tolerieren, stellt Polizeisprecher Robin Schönherr klar. „Eine dienstliche Nutzung besagter Kameras ist nicht gestattet. Zum einen handelt es sich bei einem derartigen Aufzeichnungsgerät um kein reguläres Führungs- und Einsatzmittel der Landespolizei. Zum anderen sind die rechtlichen Vorschriften für die Aufzeichnung von Bild und Ton für gefahrenabwehrrechtliche oder strafverfolgende Zwecke relativ eng gefasst“, so Schönherr.

Das Filmen von Einsätzen sei höchstens von sogenannten Bodycams gestattet - unter strengen Voraussetzungen. Aufnahmen in privaten Wohnungen sind aber auch damit nicht erlaubt. Schon gar nicht dürfen sie in die Öffentlichkeit gelangen. Solche gut sichtbaren Kameras wurden zwischen 2017 und 2019 auch in Dessau in einem Pilotprojekt getestet. Diese Phase sei inzwischen aber vorbei und Körperkameras nicht mehr im Einsatz, sagt Schönherr.

Auf den Polizisten könnten nun sowohl disziplinarische als auch strafrechtliche Konsequenzen zukommen. „Aufgrund des dargestellten Sachverhalts und des bislang übermittelten Bildmaterials besteht der Anfangsverdacht einer Straftat“, sagt Schönherr. Von Amts wegen sei bereits eine Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet worden. Bei Identifizierung des betreffenden Beamten würde man darüber hinaus die Einleitung disziplinarrechtlicher Maßnahmen prüfen. „Der Behördenleitung der Polizeiinspektion Dessau-Roßlau ist sehr daran gelegen, den hier vorliegenden Sachverhalt aufzuklären, derartigem Handeln wirksam entgegenzutreten und auch zukünftig zu unterbinden“, sagt Schönherr.