Engagiert für die Wahl-Heimat Engagiert für die Wahl-Heimat: Ehemaliger DVV-Chef Wilhelm Kleinschmidt ist 80 geworden

Dessau - „Ich trete noch mal an“, sagte Wilhelm Kleinschmidt vor wenigen Tagen zur Jahreshauptversammlung des Vereins zur Förderung und Erhaltung des neuen Wasserturms. Das „noch“ aus seinem Munde ließ aufhorchen. Für zwei Jahre will er den Förderverein unterstützen, bleibt dessen zweiter Vorsitzender, stellt Fördermittelanträge, putzt Klinken bei LottoToto, organisiert Handwerker.
Im Stadtrat für Pro Dessau-Roßlau dagegen ist diese seine letzte Legislaturperiode. Bei der Kommunalwahl im Mai kandidiert er nicht wieder. Wilhelm Kleinschmidt feierte kürzlich seinen 80. Geburtstag. Mit dem ehemaligen Chef der Dessauer Stadtwerke sprach MZ-Redakteurin Annette Gens.
Herr Kleinschmidt, mal Hand aufs Herz, wie fühlt man sich mit 80?
Wilhelm Kleinschmidt: Gesundheitlich gut. Dafür tue ich auch einiges.
Wie halten Sie sich fit?
Wilhelm Kleinschmidt: Indem ich regelmäßig Sport treibe. Scharfes Gehen fünf bis 12 Kilometer mehrmals in der Woche, dadurch sind meine Rückenschmerzen, unter denen ich früher als Büromensch gelitten habe, verschwunden. Ich fühle mich wohl. Nur darf ich nicht daran denken, dass ich schon 80 bin. Das Leben rast... Man fühlt sich selbst nicht alt.
Die meisten Dessauer kennen Sie als sachliche Person mit norddeutschem Akzent. Wo kommen Sie her und wie kamen Sie nach Dessau?
Wilhelm Kleinschmidt: Meine Familie ist auf Rügen Zuhause. Nach der Schule wurde ich Elektriker, dann ging es zum Studium nach Zittau (Ingenieur für Kraftwerkstechnik - die Red) und anschließend, 1962, nach Bitterfeld zum Elektrochemischen Kombinat. Später lernte ich meine Frau - eine Dessauerin - kennen.
Deshalb wechselte ich 1968 zur Gärungschemie, leitete dort das Kesselhaus. Kurz vor der Wende wurde das Kraftwerk der Gärungschemie erweitert und mit der Wende brach die Produktion zusammen. Verrückt! Da ist ein Kraftwerk, dessen Energie nicht mehr benötigt wird, weil nicht produziert wird. Ich hatte die Idee, das Kraftwerk zur Versorgung der Stadt mit Strom und Fernwärme zu nutzen.
Was war Wilhelm Kleinschmidt erste Entscheidung als Geschäftsführer der DVV?
Gab das keinen Widerstand unter den großen Energieanbietern?
Wilhelm Kleinschmidt: Bestimmt, vor allem wollte die Landesregierung nur Konzessionen zur Versorgung mit Strom ausstellen, wenn große Energieunternehmen mit im Boot saßen. Die Spitze der Stadtwerke und der Stadt waren anderer Meinung, haben meine Idee und das Konzept mitgetragen. Wir wollten Stadtwerke ohne Beteiligung.
Gab und gibt es in Sachsen-Anhalt ähnliche Stadtwerke wie in Dessau-Roßlau?
Wilhelm Kleinschmidt: In Wittenberg ist es ähnlich. Nur sind die Stadtwerke dort nicht so breit aufgestellt. Sonst fällt mir kein weiteres Beispiel ein.
Wie haben Sie die Landesregierung dazu bewegen können, Konzessionen für die Stadtwerke zu genehmigen?
Wilhelm Kleinschmidt: Nach dem Regierungswechsel zu Rot-Grün in Sachsen-Anhalt 1994 gab es die Unterschriften zu den benötigten Konzessionen. Allerdings war unser vorgelegtes Konzept auch konkurrenzlos gegenüber den Angeboten anderer Versorger. Im Oktober 1994 wurde ich dann gefragt, ob ich Geschäftsführer der 1991 gegründeten DVV werden will.
Was war Ihre erste Entscheidung als Geschäftsführer?
Wilhelm Kleinschmidt: Noch 1994 haben wir die Stromnetze gekauft mit allen Aufgaben der Betreibung der Netze, der Buchführung und der Kundenabrechnung, gleiches erfolgte für die Wasserver- und -entsorgung. Außerdem waren die Investitionen im Kraftwerk so weit gediehen, dass wir zu Beginn der Heizperiode im Oktober 1994 die komplette Übernahme der Fernwärmeversorgung in Dessau und die Abkopplung vom Kraftwerk Vockerode vollziehen konnten.
„Die wichtigste Aufgabe war, die DVV aus der Verlustzone zu bringen“
In den zehn Jahren bei den Stadtwerken, welche Höhen erlebten Sie?
Wilhelm Kleinschmidt: Die wichtigste Aufgabe war, die DVV aus der Verlustzone zu bringen und auf die städtischen Zuschüsse zu verzichten. Das gelang ab 1999. Danach gab es das Ziel, die Stadtwerke trotz der bereits integrierten Sparten noch breiter aufzustellen, um als Universaldienstleister der Stadt einen größtmöglichen Nutzen zu bringen. In meine Zeit als Geschäftsführer fiel die Gründung der Dessau-Wörlitzer Eisenbahngesellschaft und der Ausbau der Eisenbahnstrecke mit Fördermitteln.
Heute ist die Dessau-Wörlitzer Eisenbahn aus dem touristischen Angebot nicht wegzudenken. Auch die Datel wurde als Tochter der Stadtwerke gegründet und machte damals ihre ersten Schritte. Zu den ersten Projekten gehörte die komplette Erschließung der Waldsiedlung Kochstedt mit Telekommunikation. Die Stadtwerke beteiligten sich an der Firma Infratec, die Wartungsanlagen an Fernwärmeleitungen erledigt. Das heißt, es wurden wichtige Weichen für das Unternehmen gestellt.
Sicher lief nicht alles glatt im Berufsleben, oder?
Wilhelm Kleinschmidt: Ich musste auch unpopuläre Entscheidungen fällen. Denn nach der Gründung der Stadtwerke wurden viel zu viele Menschen im Unternehmen eingestellt. Besonders schwierig war die Situation in den Dessauer Verkehrsbetrieben.
250 Menschen waren dort beschäftigt. Im ersten Schritt wurde die Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden begrenzt. Im zweiten Schritt musste Personal abgebaut werden. Das war eine große Herausforderung, menschlich nicht einfach aber wirtschaftlich zwingend.
Die nächste Generation soll jetzt entscheiden, wie es in Dessau-Roßlau weitergeht
Seit 15 Jahren sind Sie ein freier Mensch. Weshalb haben Sie sich nicht zur Ruhe gesetzt - im Gärtchen oder auf Reisen?
Wilhelm Kleinschmidt: Wenn du nichts machst, dann wirst du alt, riet mir ein guter Freund. Und er hatte recht. Deshalb mischte ich mich in die Politik ein, mit Pro Dessau-Roßlau unter Hans-Georg Otto. Ich half auch beim Wiederaufbau des Wasserturms, den hatten wir früher immer vor Augen, denn mein Büro war in der Nähe.
Wir alle beobachteten den Verfall eines Wahrzeichens. Den wollten wir stoppen. Ja, ich leitete auch über etliche Jahre die Kleingartensparte in Mildensee, wo ich mein Gärtchen habe. Und ich bin Schatzmeister beim Stadtverband der Kleingärtner. Gelebt habe ich trotzdem. Keine Sorge.
Weshalb wollen Sie kein Stadtrat mehr sein?
Wilhelm Kleinschmidt: Weil die nächste Generation jetzt entscheiden sollte, wie es in Dessau-Roßlau weitergeht.
Warum bleiben Sie im Vorstand des Wasserturms?
Wilhelm Kleinschmidt: Mit viel Mühe und Aufwand sind für jeden ersichtlich die wesentlichen Restaurierungsarbeiten am Wasserturm abgeschlossen. Außer der aufwendigen Reparatur des Hauptsimses ist mir noch wichtig, dass wir die Bühne im Wasserturm in 20 Metern Höhe begehbar gestalten, um den Besuchern die Aussicht auf Dessau aus den 16 Fenstern zu ermöglichen.
Wieviel Geld wurde inzwischen in den Wasserturm am Lutherplatz investiert?
Wilhelm Kleinschmidt: Schätzungsweise eine Million Euro. Wir brauchen weitere Unterstützung. Das meiste aber ist geschafft. (mz)
