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Dokumentation von Hanns Weltzel Dokumentation von Hanns Weltzel: Das Leben der Sinti in Roßlau in den 1930er Jahren

Von Thomas Steinberg 07.10.2017, 12:00
Hanns Weltzel mit Berta Stein in Dessau-Roßlau.
Hanns Weltzel mit Berta Stein in Dessau-Roßlau. University of Liverpool Library

Dessau-Rosslau - Drei Jahre nachdem der Krieg vorüber war schrieb Joseph Laubinger einen Brief nach Roßlau. Adressiert war er an Hanns Weltzel. Die beiden Männer waren befreundet, doch hatten sie sich seit Jahren nicht gesehen. Jetzt mahnte Laubinger seinen Freund: „Vergiss die Photos nicht, das ist sehr wichtig.“

Weltzel, 1902 geboren, war Fotograf und hatte mit seinen Bildern die lokalen Medien beliefert. Was ihn aus der Schar der Kollegen seiner Zeit heraushebt: Er dokumentierte das Leben von Sinti in Bildern - ohne die bösartigen Vorurteile über sie zu bedienen. Im Gegenteil.

„Das ist mein Lebensthema“

Momentan sind Weltzels Bilder in Prag zu sehen, in einer Ausstellung, die von der Dessauerin Jana Müller und Eve Rosenhaft von der Uni Liverpool erarbeitet wurde. Eigentlich, sagt Müller, sei die Arbeit noch gar nicht beendet. Aber in Prag habe man von der Forschung der beiden Frauen gehört und sie anlässlich einer Konferenz eingeladen.

Jana Müller kennt die Fotos von Weltzel seit Jahren. Im Alternativen Jugendzentrum (AJZ) hatte sie mit Jugendlichen das Leben von Erna Lauenberger erforscht, die Grete Weiskopf in ihrem Jugendroman „Ede und Unku“ zur weiblichen Titelheldin gemacht hatte. Nicht von ungefähr, denn Unku hatte einige Zeit in Roßlau gelebt. Das Projekt ist beendet, doch Müller forscht nun privat weiter: „Das ist mein Lebensthema.“

Weltzel kannte Unku

Weltzel kannte Unku. Es gibt mehrere Bilder der jungen Frau, auch solche, die sie und ihre Freundinnen im Haus der Familie Weltzel in der Roßlauer Südstraße zeigen. In Roßlau gab es Mitte der 1930er Jahre zwei Plätze, an denen Sinti wohnten: einen im Triftweg, einen weiteren in der Mittelfeldstraße. Auch am Wallwitzhafen müssen regelmäßig Familien kampiert haben. Weltzel muss häufig Gast bei ihnen gewesen sein. „Man sieht es auf den Fotos, er hatte das Vertrauen der Leute“, sagt Müller.

Dazu mag beigetragen haben, dass er ihre Sprache gelernt hatte. So ließen sie ihn ihren Alltag ebenso fotografieren wie sich in Porträtsitzungen von ihm ablichten.

Viele Identitäten von Sintis geklärt

Oft notierte Weltzel auf den Fotos, wen diese zeigten. Aber eben nicht immer und wenn, dann nur die Spitznamen. „Die waren üblich unter den Sinti“, erklärt Müller. Genau das macht ihre Arbeit und die von Eve Rosenhaft so kompliziert. Um über das Schicksal der Porträtierten etwas herauszufinden, sind deren bürgerliche Namen erforderlich. Denn nur diese sind in der Liste jener 53 Personen erfasst, die als „Zigeuner“ 1938 aus Anhalt ausgewiesen und auf ein freies Feld nahe Magdeburg verfrachtet wurden.

Viele Identitäten hat Müller klären können, manchmal über vier Generationen hinweg. Etwa die von Lamperli, eben jenem Joseph Laubinger, der Weltzel erinnert, ihm Fotos zu schicken - jene seiner Familienangehörigen, von denen die meisten in Konzentrations- und Vernichtungslagern umgebracht worden waren.

Verrat an Sinti?

Gelegentlich werde behauptet, Weltzel habe „seine“ Sinti im Dritten Reich verraten. Jana Müller hält das für „Quatsch“. Während ihrer Recherchen in Magdeburg, Liverpool, Bad Arolshausen oder Leipzig stieß sie auf keinerlei Hinweise, wonach Weltzel mit den Nazis kollaboriert haben könnte. Zwar bekam er tatsächlich einmal Besuch von einem hochrangigen „Rassenforscher“, ließ aber verlauten, dass ihm dieser sehr zuwider war.

Und mit seinen Fotos hätten die Nazis rein gar nichts anfangen können: Sie bilden geradezu einen Kontrapunkt zur Untermenschenideologie.

Archiviert sind Weltzels rare Einblicke in das Leben von Sinti während der 1930er Jahre, in eine ausgelöschte Welt mithin, in Liverpool, wo bis 1989 die Gypsy Lore Society ihren Sitz hatte. Ihr hatte Weltzel schon zu Lebzeiten Bilder überlassen, andere gelangten über einen niedersächsischen Pfarrer dorthin.

Hanns Weltzel selbst lernte der Kirchenmann nicht mehr kennen. Als Mitglied der West-Berliner antikommunistischen Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit war der Fotograf verhaftet und 1952 in Moskau hingerichtet worden.

Die Realisierung der Ausstellung kann mit Spenden unterstützt werden: IBAN DE44 800535 72 0031 0001 56, Stadtsparkasse Dessau. Konto-Inhaber: AJZ e.V., Verwendungszweck: Ausstellung/Name.

(mz)

Die Sinti in Roßlau ließen Weltzel nahe an sich ran.
Die Sinti in Roßlau ließen Weltzel nahe an sich ran.
University of Liverpool Library
Häufig war der Fotograf Gast bei den Sinti.
Häufig war der Fotograf Gast bei den Sinti.
University of Liverpool Library