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Diakonie Diakonie: Wenn die Seele krank ist

Von silvia bürkmann 20.04.2013, 18:50

rosslau/MZ - Es ordnet sich gut ein in die Häuserzeile der sanierten und renovierten Adressen. Gegenüber der Einmündung der Magazinstraße flattern bunte Luftballons im milden April-Lüftchen und grüßen die Passanten. Das Tor zum Hof steht sperrangelweit offen. Willkommen beim „Tag der offenen Tür“ am Diakonie-Gebäude in der Roßlauer Goethestraße 62.

Das Haus schreibt seit Anfang des vorvorigen Jahrhunderts Geschichte für den „Dienst am Nächsten“, auch wenn es anfangs noch noch einen anderen Namen trug und als Vereinshaus des evangelischen Männer- und Jünglingsvereins Roßlau errichtet wurde. Nach dem Krieg vom inzwischen verbotenen Verein der Kirchengemeinde geschenkt, trotzdem enteignet und nach der Wende in Ostdeutschland über Restitutionsanspruch rückübertragen an „St. Marien“, wird das Haus seit 1992 vom Diakonischen Werk im Kirchenkreis Zerbst genutzt. Zuerst lange als Sozialstation und seit 2007 als sozialtherapeutische Tagesstätte für Menschen mit seelischer Behinderung.

Im Sommer 2012 setzte die Diakonie dann zum Generalumbau an. Entkernte das Haus bis auf den Rohbau und schuf neben der Tagesstätte im Erdgeschoss und Hochparterre im Obergeschoss Raum für eine Wohngemeinschaft für chronisch seelisch Kranke. Die Tagesstätte besuchen 17 Betroffene von 8 bis 14 Uhr von Montag bis Freitag, werden nach ihrem Tag in der Einrichtung wieder nach Hause begleitet. Sie haben ihre Wohnungen in Dessau-Roßlau sowohl links- als auch rechtselbisch. In der betreuten Wohngemeinschaft nun finden im Obergeschoss fünf Bewohner ihr neues Heim. Zwei Frauen und drei Männer, zwei Zerbster und drei Dessau-Roßlauer haben jetzt die Goethestraße 62 als ihre neue Anschrift und ihren neuen Lebensmittelpunkt. Durch individuell gestaltete Wohnräume mit integriertem Badezimmer und eine moderne Gemeinschaftsküche mit gemütlichem Esszimmer sowie durch verschiedene Funktionsräume (Keller) bieten sich gute Bedingungen für eine betreute und funktionierende Wohngemeinschaft.

Betroffene sollen Tagesstruktur bekommen

Der Weg bis dahin ist für die Betroffenen schwer, wissen Dietrich Landmann und Ingo Gensch nur zu gut. Kreisdiakon Landmann und Therapeut Gensch kennen die umfänglichen „Psychiatrie-Karrieren“, die sich über Jahre hingezogen haben, bis die Mediziner die „klinisch Austherapierten“ mit eingestellter Medikation an die Sozialtherapeuten lenken. „Die psychische Krankheit hat sich verfestigt, ist zur seelischen Behinderung geworden.“ Den Betroffenen wieder Alltagskompetenzen zu vermitteln - vom täglichen Aufstehen bis zur Essenszubereitung - das sehen sowohl die Sozialtherapeutische Tagesstätte als auch die betreute Wohnform als ihr Ziel: Den Betroffenen eine Tagesstruktur geben und den vielfachen Rückzugstendenzen das Leben in der Gemeinschaft entgegenzusetzen.

Gensch sieht eine Schlüsselrolle in Tischgemeinschaft und in -manieren. Deshalb wird das Essen gemeinsam - mit Hilfe der Therapeuten - zubereitet, gemeinsam eingenommen und aufgeräumt. „Könnte es nicht immer so schön sein, wie heute?“, fragt Monika. Die 59-jährige kam aus Zerbst nach Roßlau. Seit fast zehn Jahren besucht sie die dortige Tagesstätte und wird daran auch künftig nichts ändern. Personelle Kontinuität wiegt viel. Auch wenn sie jetzt in der Roßlauer Goethestraße wohnt, hält sie Kontakt nach Zerbst; von den Verwandten bis zum Hausarzt. „Aber mir gefällt es hier sehr. Sonst wäre ich ja so allein.“