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Telemetrie für Wissenschaft und Forschung Dessauer Firma baut Mini-Peilsender für Hummel bis Fledermaus

Eine Dessauer Firma ist eine von wenigen weltweit, die für Wissenschaft und Forschung Miniatur-Sender baut. Hummeln können die leichtesten tragen, aber auch Frösche und Feldermäuse hat man im Blick.

Von Thomas Steinberg 18.09.2021, 12:00
Firma Telemetrieservice Dessau: Andreas Gens (l.) und Firmengründer Hans-Joachim Vogl.
Firma Telemetrieservice Dessau: Andreas Gens (l.) und Firmengründer Hans-Joachim Vogl. (Foto: Thomas Steinberg)

Dessau/MZ - Die Chance auf eine solche nächtliche Begegnung ist zugegeben gering. Doch umso größere Irritationen dürfte es auslösen, nachts mitten im Wald auf einen Menschen zu treffen, eine recht sperrige Antenne in der Hand haltend. Sendet er geheime Signale und wenn ja, an wen? Spürt er rätselhaften Strahlenquellen nach?

Nichts von alledem. Die richtige Antwort findet sich im Norden Dessaus, in einem alten, graublauen Bürohaus, in das sich etliche Firmen eingemietet haben. Eine der ungewöhnlichsten: Telemetrieservice Dessau. Zwei Räume, drei Leute. Weltweit nur drei, vier Konkurrenten.

Hans-Joachim Vogl sitzt am Schreibtisch. Hinter sich an der Wand das großformatige Foto einer Fledermaus überdies jede Menge „Heide-Aktien“, die seinen finanziellen Einsatz für die Oranienbaumer Heide belegen. Vorm Schreibtisch ragt das kakelige Gestell einer Antenne empor.

„Unsere Kunden kommen aus Deutschland, aus Europa, der ganzen Welt“

Einst war Vogl Nachrichtenaufklärer bei der NVA. Das dort und das als Funkamateur erworbene Wissen brachte er in eine vor neun Jahren gegründete Firma ein, in der Miniatur-UKW-Sender gebaut werden. Den mit 0,18 Gramm leichtesten kann eine Hummel davontragen. Die etwas größeren Fledermäuse, kleine Singvögel oder Frösche.

Die Tiere sind keineswegs als fliegende oder kriechende Spione unterwegs. Sondern die Sender erlauben es Wissenschaftlern, sie zu verfolgen, auch in pechschwarzer Nacht.

„Unsere Kunden kommen aus Deutschland, aus Europa, der ganzen Welt“, sagt Vogl. Es sind Universitäten und Forschungsinstitutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Oder Biologen wie Thomas Hofmann, der sein Büro schräg gegenüber der Telemetrie-Firma hat und regelmäßig Artenschutzgutachten zu Vögeln und Fledermäusen erstellt.

Je nach Einsatzland müssen sie auf etwas anderen Frequenzen funken

Die sind zum Beispiel nötig, wenn eine Straße quer durch die Natur gebaut werden soll. Befindet sich etwa ein Fledermausquartier in der Nähe, stellt sich die Frage, ob die Einflugschneise der Tiere die künftige Straßentrasse kreuzt.

Die Frage lässt sich nicht durch Beobachtungen klären. Also fängt Hofmann einige der Tiere, klebt ihnen die Dessauer Sender auf und legt sich mit Helfern nachts im fraglichen Gebiet mit Antennen auf die Lauer nach Signalen. Werden welche empfangen, stellt sich die Frage nach Ausgleichsmaßnahmen.

Die kleinen Sender können von Fröschen getragen werden.
Die kleinen Sender können von Fröschen getragen werden.
(Foto: Thomas Steinberg)

Im hinteren Raum sitzt Andreas Gens am Tisch und vor einer großen Lupe. In einer Petrischale darunter liegen elektrische Widerstände - 0,2 mal 0,1 Millimeter winzig. Gens, erst einige Wochen dabei, montiert die Sender in Handarbeit, prüft jeden einzelnen. Nicht nur nach Einsatzzweck unterscheiden sich die Sender. Je nach Einsatzland müssen sie auf etwas anderen Frequenzen funken. „Wo wir senden, ist das Frequenzband knackevoll“, erklärt Vogl.

Die Empfangsantennen machen es möglich, eine Fledermaus über Kilometer hinweg aufzuspüren

Zudem ist die Sendeleistung minimal - die eines schnurlosen Telefons beträgt locker ein Tausendfaches. Die Empfangsantennen machen es dennoch möglich, eine Fledermaus über Kilometer hinweg aufzuspüren.

Dass Vogl überhaupt auf das Geschäftsfeld mit den Miniatursendern geriet, hängt mit der Funkerei zusammen. Von Funkamateuren in Bad Segeberg erfuhr er von der Kalkberghöhle, einem der größten europäischen Fledermauswinterquartiere - und von der Schwierigkeit, die nachtaktiven Tiere zu tracken, die mit den Flughunden übrigens ein Fünftel aller Säugetierarten stellen. Vogl nahm Kontakt auf zum Arbeitskreis Fledermäuse Sachsen-Anhalt und machte sich mit anderen an die Arbeit. Ein viertel Jahr später war der erste Prototyp fertig.

Die Batterien der kleinsten Sender halten meist nur wenige Tage durch

Die Batterien der kleinsten Sender halten meist nur wenige Tage durch. Und irgendwann fallen die Minisendestationen einfach ab. „Die sind Wegwerfware“, feixt Vogl.

Wären seine Produkte nicht auch geeignet, Menschen zu verfolgen? Im Prinzip schon. Vogl kennt allerdings seine Kunden und wenn nicht, will er genau wissen, wofür die Geräte gebraucht werden.

Noch bis Jahresende wird er die Geschäfte in Dessau beaufsichtigen, dann geht er in den Ruhestand. Die Firma hat er an einen langjährigen Partner im südwestdeutschen Müllheim verkauft, der wird die Dessauer Niederlassung als Zweigstelle der Plecotus-Solutions GmbH erhalten.

Plecotus ist übrigens der lateinische Gattungsname der Langohrfledermäuse.