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Politisches Urgestein geht Dessau verdankt Lothar Ehm die Friedensglocke und bessere Deiche - warum er sich jetzt zurückzieht

Von Daniel Salpius 15.11.2021, 13:00
Lothar Ehm in seinem „Wohnzimmer“, dem Ratssaal des Walderseer Rathauses
Lothar Ehm in seinem „Wohnzimmer“, dem Ratssaal des Walderseer Rathauses Foto: Thomas Ruttke

Dessau-Rosslau/MZ - Im Walderseer Rathauses empfängt Lothar Ehm den Besuch. Wo auch sonst? Er bittet in den schmucken Ratssaal, als wäre es sein Wohnzimmer. Und im Grunde ist es das ja auch. Immerhin hat er hier über 25 Jahre als Ortsbürgermeister gewirkt. Er nennt es sein wichtigstes Amt. Das ist nicht weniger als eine Liebeserklärung an Waldersee, denn politische Ämter hatte Ehm in drei Jahrzehnten Dessauer Politik einige, von außen betrachtet durchaus bedeutendere: Stellvertretender Oberbürgermeister, Wirtschaftsdezernent, Stadtratspräsident.

Noch einmal blickt sich der 73-Jährige um in dem Saal, der aktuell mit Plexiglasscheiben angefüllt ist, vor Ehms Augen aber wohl eher mit Erinnerungen vollsteht. „Ich bin ja hier zu Hause“, bekräftigt der Kommunalpolitiker. „Zu sagen habe ich aber jetzt nichts mehr“, fügt er hinzu.

Der stille und fleißige Arbeiter im Hintergrund, als den ihn politische Weggefährten kennen, wollte still gehen

Lothar Ehm, eines von Dessau-Roßlaus politischen Urgesteinen, hat zum 31. Oktober sein Stadtratsmandat und das Amt als Ortsbürgermeister von Waldersee niedergelegt. Äußerst leise tat er dies. In der Stadtratssitzung vom 20. Oktober gab es lediglich eine kurze Information von seinem Parteifreund und Stadtratspräsident Frank Rumpf (CDU) dazu. Ehm selbst war nicht anwesend. Und auch mit einem Pressegespräch zum Thema hatte er es danach nicht eilig. Der stille und fleißige Arbeiter im Hintergrund, als den ihn politische Weggefährten kennen, wollte still gehen.

Über seine Gründe für den Abschied macht Ehm wenig Aufhebens. „Es ist einfach genug“, erklärt er. Es habe möglicherweise auch gesundheitliche Fingerzeige gegeben, deutet Ehm an. Wehleidig sei er aber nicht. „Und die Familie freut sich auch über mehr meiner Zeit.“ Denn die hatte er reichlich in seine Ehrenämter gesteckt. „Wenn man mit Leib und Seele dabei ist, und das muss man sein, dann kostet es viel Zeit.“

Ehm gilt als einer der prägenden Wendepolitiker Dessau-Roßlaus. „Ich war mit dem DDR-System nicht zufrieden, war aber zuvor kein Oppositioneller.“ Dann kamen Friedensgebete und Wende und für Ehm die Chance, selbst aktiv zu werden. „Ich habe diese Zeit freudig angenommen und mitgemacht.“

Friedensglocke war Idee Ehms: „Als das flüssige Metall herausfloss, hatte ich die Assoziation eines Glockengusses“

Ehms erster Kampf richtet sich gegen die Waffen des DDR-Regimes. Schon wenige Wochen nach dem Mauerfall setzt sich die „Initiativgruppe 6. Dezember“ um Ehm dafür ein, die Waffen der paramilitärischen Kampfgruppen Dessaus zu verschrotten. Kurz darauf sind 1.250 Kalaschnikows, 174 leichte Maschinengewehre, 87 Panzerbüchsen und 171 Pistolen zerstört und im März 1990 eingeschmolzen. Aus dem Stahl wird später die Friedensglocke gegossen und 2002 auf dem heutigen Platz der Deutschen Einheit eingeweiht. Die Idee stammt von Ehm. „Als das flüssige Metall herausfloss, hatte ich die Assoziation eines Glockengusses.“

Erst 1992 trat der Walderseer in die CDU ein. Unter dem ersten Nachwende-Oberbürgermeister Jürgen Neubert (FDP) wird Ehm zwischen 1993 und 1994 für kurze Zeit stellvertretender Oberbürgermeister Dessaus und Wirtschaftsdezernent.

Das prägendste Ereignis seiner politischen Karriere war für ihn jedoch zweifelsfrei das zerstörerische Hochwasser von 2002, in dem Waldersee völlig unterging. „Hier sah es ganz genauso aus wie dieses Jahr im Ahrtal“, erinnert der 73-Jährige. Die Schäden waren verheerend. Und Ehm hatte das Unheil vorausgesehen. „Die Deiche waren durchlöchert, das hatten mir ein paar alte Herren gezeigt.“ Doch beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) sei er auf taube Ohren gestoßen. „Noch im Februar haben die mich als Spinner bezeichnet.“ Im August gab der Schwedenwall den Wassermassen nach. Deichbruch. Ehm war zur Kassandra geworden, dem unerhörten Warner, und hatte als Ortsvorsteher die Folgen und die Hilfen zu managen.

Waldersee nach der Flut 2002. Ehm hatte es kommen sehen.
Waldersee nach der Flut 2002. Ehm hatte es kommen sehen.
Foto: Sebastian

Dass er manches leise geregelt habe, brachte Ehm als Stadtratspräsident den Vorwurf ein, nicht genug durchzugreifen.

Die Flut wurde sein Lebensthema, den Deichen um Waldersee galt seine ständige Sorge. „Deichgraf“, nennt ihn deshalb mancher halb spöttisch, weil er sich in Stadt und Land unermüdlich für den Hochwasserschutz einsetzt. „Ich habe die Leute andauernd genervt“, gibt Ehm zu. Allerdings behält er Recht damit. Das Hochwasser im Jahr 2013, obwohl mit noch höheren Pegeln als 2002, zieht an Waldersee vorbei. „Der LHW hatte dann doch auf uns gehört, die Deiche erhöht und die Schwachstellen repariert.“

Zwischen 2014 und 2019 wurde Ehm dann noch Stadtratspräsident, blieb in diesem Amt aber umstritten. Dass er manches leise geregelt habe, brachte ihm den Vorwurf ein, nicht genug durchzugreifen. Dass ihn das geärgert hat, gibt er zu. „Das war ein bisschen ungerecht, denn man muss nicht alles mit Krach und Ärger regeln. Jeder macht es so, wie es seinem Charakter entspricht.“

Oberbürgermeister Robert Reck und Stadtratspräsident Frank Rumpf zollen Lothar Ehm Respekt

Sein Nachfolger in diesem Amt bedauert Ehms Abschied. „Es ist schade, dass ein langjähriger Stadtratskollege und Freund seinen politischen Weg beendet“, sagt Frank Rumpf. „Er war in vielen Dingen sehr erfolgreich, wenn er auch unter Umständen Kritik einstecken musste. Wie er selbst sagt, hätte er gerne noch viele Sachen erledigt, aber das Leben zwingt einen manchmal zu anderen Entscheidungen. Ich wünsche ihm Glück und Wohlergehen“, so Rumpf.

Das Rathaus würdigt Ehm zum Abschied ebenfalls mit lobenden Worten: „Ich blicke mit Respekt und Anerkennung auf seine Arbeit“, sagt Oberbürgermeister Robert Reck. „Ich danke Herrn Stadtrat Ehm im Namen Dessau-Roßlaus für viele Jahre des großen Einsatzes und wünsche Ihm von Herzen alles Gute, Gesundheit und Wohlbefinden.“