Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Lukratives Nebengeschäft füllt die Kasse

DESSAU/MZ. - Im Einwohnermeldeamt beginnt alles mit der Nummer. Sie muss erst gezogen werden, dann muss geduldig gewartet werden. Warten auf den Aufruf, sich am Schreibtisch der Mitarbeiterin einzufinden. Wenn jemand innerhalb von Dessau umzieht, ist er gesetzlich verpflichtet sich beim Einwohnermeldeamt umzumelden, wer in die Stadt zieht, muss sich anmelden. Andernfalls drohen Strafen. Der Behördengang kostet den Betroffenen zwar nichts - kann der Kommune aber zu einem lukrativen Nebengeschäft verhelfen.
66 000 Auskünfte im Jahr
Während der neu zugezogene Bürger wartet, geht es in den hinteren Räumen des Meldeamtes hektisch her. Täglich stapeln sich die Anfragen von Behörden, Inkassounternehmen, Steuereintreibern, Rechtsanwälten und vielen anderen, die wissen wollen, wo wer der gemeldeten Stadtbewohner haust. Täglich wird etwa 1 000 Mal auf das Melderegister zugegriffen. Die Ämter der Stadt wie das Finanzamt und das Jugendamt schauen direkt in die Daten im Register, ebenso die Polizei. Zudem gehen Tag für Tag 300 Anfragen schriftlich oder mündlich bei der Behörde ein. Diese Zahl der Auskünfte der Meldebehörde im Jahr summiert sich auf insgesamt 66 000.
Etwa 60 Prozent der Zugriffe sind allein behördliche Abfragen von Finanzämtern, Kirchenämtern, den Gebühreneintreibern des Öffentlichen Rundfunks, ebenso von der Polizei. Gefragt wird nach Adressen, dem Alter. Doch auch der Tag des Ein- bzw. Auszuges lässt sich verfolgen sowie die frühere Anschrift des ins Interesse gerückten Bürgers. Der tägliche Datenaustausch zwischen den Behörden bringt der Stadt allerdings keinen einzigen Euro ein.
Doch die restlichen 40 Prozent der Anfragen sind private Anfragen, mit denen sich im Meldeamt gut Kasse machen lässt: So hat die Stadt mit der Herausgabe von Meldedaten ihrer Bürger im Jahr 2009 insgesamt 43 668,50 Euro eingenommen. Die Einnahmequelle bleibt konstant: Bereits im Oktober dieses Jahres verzeichnet die Behörde 35 000 Euro in der Stadtkasse, bis zum Ende des Jahres, so prognostiziert Karin Krings, die Leiterin der Behörde, werden es wieder etwa 43 000 Euro sein. Unter der Stammkundschaft seien neben Inkassounternehmen vor allem Notare, Gerichtsvollzieher, Wohnungsgesellschaften und Stadtversorgungsunternehmen, die noch offene Rechnungen von ihren Mietern oder Kunden einfordern wollen.
Mit fünf Euro ist man dabei
Eine "einfache" Auskunft vom Meldeamt kostet in Dessau-Roßlau fünf Euro. Dafür bekommt der Suchende die Adresse der gesuchten Person. Die "erweiterte Auskunft", für acht Euro zu haben, geht einher mit der Bekanntgabe des Geburtstages. Zudem gibt es die Gruppenauskünfte. Das betrifft beispielsweise Kirchen, das Deutsche Rote Kreuz und gemeinnützige Vereine. Auch Infratest oder Forschungseinrichtungen können gegen eine Auskunftsgebühr gezielt nach bestimmten Personengruppen fragen. Zum Beispiel lässt sich herausfinden, wo in Dessau-Roßlau die Menschen wohnen, die zwischen 25 und 30 Jahre alt sind. Nur Parteien bleibt diese Auskunft laut Stadtordnung verwehrt.
Aber auch jeder Bürger, der einen Freund oder Feind wiederfinden will, kann für fünf Euro dessen Adresse bekommen. Er braucht nicht einmal sein Interesse an der Auskunft begründen, wie ein Selbstversuch zeigte.
Das Verheerende dabei: Der Datenfluss ist unaufhaltsam; Bürger haben keinen Einfluss darauf, welche persönlichen Daten im Meldeamt weitergeben werden. Nur im Extremfall lässt sich eine Auskunftssperre in der Behörde erteilen. Möglich wird eine Sperre für diejenigen, die beispielsweise im Frauenhaus leben oder im Gefängnis sitzen und somit eines besonderen Schutzes bedürfen.
Doch auch eine andere Frage tut sich auf: Die nach dem Missbrauch und dem Datenhandel. Denn auf Anfrage an Datenhändler heißt es, man bekomme auch Datensätze von Meldeämtern zugesandt. Vehement bestreitet Karin Krings den Vorwurf, dass aus dem Dessauer Rathaus Bürger-Adressen an dubiose Firmen verkauft würden. "Wir prüfen jede Anfrage genau", beteuert sie. Außerdem sei eine Anfrage von solchen Firmen noch nie vorgekommen, seitdem Krings das Einwohnermeldeamt leitet.
Auch wenn jede mündliche und schriftliche Anfrage genau geprüft werden würde, einige Zweifel seien dennoch angebracht, meint der Landesdatenschutzbeauftragte Harald von Bose: "Wer Auskünfte will, muss zwar einwilligen, diese Daten nicht an Dritte weiterzugeben. Doch eine Kontrolle dazu, ob Daten tatsächlich nicht gespeichert oder weitergegeben werden, findet kaum statt."
Bürger oft unwissend
So würden Banken und Versicherungen die gewonnenen Daten oft auf Vorrat speichern. Eine Idee vom Landesdatenschützer ist ein Umdenken: "Bürger müssten selbst bestimmen können, welche Datensätze weitergegeben werden", so Bose. Weiter sagt er gegenüber der MZ: "Es wird viel 'beauskunftet' gegen Geld. Besonders bei Kommunen, deren Kassen klamm sind, ist ein Zusatzgeschäft willkommen. Viele Bürger allerdings wissen gar nicht, was sich hinter den Türen des Meldeamtes täglich abspielt."