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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Liebe auf den zweiten Blick

Von DANNY GITTER 28.04.2011, 18:14

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Hätte vor zehn Jahren Brigitte Franz jemand gesagt, dass sie eines Tages gerne vor Menschen steht und diesen mit Begeisterung über das Bauhaus erzählt, sie hätte wahrscheinlich ungläubig geguckt. Das Bauhaus war nur eine Randnotiz und im Mittelpunkt zu stehen, sich und ihr Wissen zu präsentieren, lagen Franz auch immer fern. Jetzt, hier und heute führt die Mittsechzigerin als Gästeführerin regelmäßig Besuchergruppen mit Begeisterung durch das Bauhaus und die Meisterhäuser.

Das tut sie mittlerweile schon fast vier Jahre. "Als ich 1968 nach Dessau geheiratet habe, hatte ich noch keinen Bezug zum Bauhaus. Architektur hatte für mich noch keinerlei Faszination", resümiert die ursprünglich aus Könnern stammende Franz heute. Chemiefacharbeiterin mit Abitur in Wolfen gelernt, anschließend Ingenieurökonomie in Köthen studiert, arbeitete Franz lange Zeit im Vertrieb des Zementanlagenbaus Dessau. Nach der Wende ging das noch knapp zehn Jahre gut, bis auch das Nachfolgeunternehmen abgewickelt wurde. Was folgte, war eine berufliche Umbruchphase, die vor neun Jahren in eine neue Stelle am Bauhaus mündete.

Das Stahlhaus in der Gropius-Siedlung Törten war fortan ihr neues berufliches Domizil. Statt Zahlen und Bilanzen waren Geschichte und Architektur an der Tagesordnung. "Ich musste damals bei Null anfangen. Aus der Notwendigkeit zu lernen ist schnell Begeisterung geworden", erinnert sich Franz. Zu lernen gab es eine ganze Menge. In Architektur, Bauhausgeschichte, Kunst und Stadtgeschichte musste sie sich innerhalb kurzer Zeit auskennen. Der erste Einsatz als Gästeführerin am Stahlhaus in Törten rückte immer näher. Das Lampenfieber war dementsprechend groß. "Meine erste Führung war für eine Person, und die war ausgerechnet Architektin", blickt Franz auf ihre Feuertaufe zurück. Doch Gast und Gästeführerin waren am Ende der ersten Führung zufrieden. Unzählige Einsätze in Törten folgten.

Seit knapp vier Jahren sind das Bauhaus und die Meisterhäuser ihr Einsatzgebiet. "Vor meiner ersten Bauhausführung war ich auch noch mal sehr aufgeregt", sagt Franz. Vereint doch das Haus in der Gropiusallee auf beeindruckende Weise Architektur-, Kunst,- und Designgeschichte. Was für Dessauer wie selbstverständlich vor der Haustür liegt, löst bei auswärtigen Besuchern regelmäßig Emotionen aus. Das beobachtet auch Gästeführerin Franz. Egal ob Gäste aus Deutschland, Fernost oder Südamerika, immer wieder sind Besucher erstaunt und begeistert beim Anblick des Gebäudes mit der großen Glasfront. Auch die Gästeführerin ist nicht frei von Emotionen.

Als sie mit der Mensa und der Aula ihre Lieblingsplätze in dem großen Gebäudekomplex betritt, kommt Franz selber ins Schwärmen. "Einfach phänomenal, was da damals möglich war. Das war was völlig Neues", ist die Gästeführerin begeistert. Auf der Bühne in der Aula fühlt sie sich zurückversetzt in die zwanziger Jahre. "Eine Theaterbühne ohne dicke, schwere Vorhänge und die modernen Stühle mit leichtem Stoffbezug gab es so vorher noch nie. Das muss ein Kulturschock für Dessau gewesen sein." Diese für die damalige Zeit avantgardistischen Vorstellungen in Architektur und Design bringen Franz in einen euphorischen Redefluss. In dieser Zeit leben, hätte sie trotzdem nicht wollen. Zu schwer waren die Zeiten danach.

Franz ist zufrieden im hier und jetzt zu leben und nur über die zwanziger Jahre als freiberufliche Gästeführerin zu berichten. Die Möglichkeit dies zu tun, schätzt sie heute mehr denn je. Seit knapp drei Jahren Ruheständlerin, ist diese Arbeit wichtig für die Mittsechzigerin. "Ich kann mir nicht vorstellen, nichts zu machen. Arbeit spielte schon immer eine große Rolle für mich", so Franz. Mittlerweile sei es kein Problem mehr, vor Menschengruppen frei zu sprechen. "Es macht mir Spaß", sagt sie heute ganz selbstbewusst. Sich ständig auf neue Menschen einzustellen und immer wieder dazu zu lernen, möchte Franz heute nicht mehr missen. Sind es doch auch die kleinen Anekdoten, die den Job so interessant machen. Eine Reisegruppe aus Berlin, die in Kostümen aus den zwanziger Jahren zur Führung erschien, zum Beispiel oder ein Besucher aus Thüringen, der das Dessauer Bauhaus mit einer gleichnamigen Baumarktkette verwechselte. Wann sie dann genug von alledem hat, weiß Franz schon heute: "Wenn mich ein Besucher fragt, ob ich den Gropius noch persönlich kannte, weiß ich, dass es Zeit ist aufzuhören", sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln.