Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Industriebrache soll Radtouristen beherbergen
DESSAU/MZ. - Eines ist Brigitte Hartwig relativ schnell aufgefallen, als sie vor rund eineinhalb Jahren nach Dessau-Roßlau zog. Das Fahrrad spielt in der Doppelstadt eine wichtige Rolle, nicht nur bei Einheimischen sondern auch bei Touristen. Diese Tatsache will die Design-Professorin für Dessau-Roßlau nutzbar machen. Ein Hotel für Radwanderer soll in der Wasserstadt 27 entstehen.
Heute präsentiert sich unter dieser Adresse noch ein altes heruntergekommenes Industriegebäude. Draußen rostet ein Schild mit dem Hinweis auf eine Textilreinigung. "Der morbide Charme des Ortes hat es mir sofort angetan", sagt Hartwig. Davon inspiriert, initiierte die Professorin im vergangenen Wintersemester ein studentisches Großprojekt im Fachbereich Design an der Hochschule Anhalt. 14 Studierende machten sich Gedanken, wie die Industriebrache der Oststrand GmbH zu einem Hotel für Radtouristen umfunktioniert werden kann.
Am Donnerstagabend wurde die Ausstellung "Radlager. Aus dem Sattel - in die Kissen" in der VorOrt-Galerie in der Ratsgasse eröffnet. Hier werden der interessierten Öffentlichkeit bis zum 28. Juli die Ergebnisse der studentischen Arbeiten gezeigt. Der Besucherandrang zur Ausstellungseröffnung bestätigte Hartwig und den Studierenden, den richtigen Nerv bei den Doppelstädtern getroffen zu haben. Denn im Radtourismus steckt viel Potenzial für die Stadt.
Eine alternative Unterkunft für Radtouristen vermisste Hartwig bisher in Dessau-Roßlau. Gespräche mit Verantwortlichen der lokalen Tourismusbranche bestärkten die Designerin in ihrem Vorhaben. Das Angebot an Unterkünften in der Stadt sei sehr vielfältig, nur der Radtourist fühle sich nicht so recht angesprochen. Das Individuelle, auf ihn zugeschnittene Angebot fehle, beobachtet Hartwig. Daher war es eine umso größere Herausforderung für die Professorin und ihre Studierenden, ein passendes Konzept zu erarbeiten und dieses der passenden Zielgruppe zu kommunizieren.
Wobei die Crux schon in der Bestimmung der Zielgruppe liegt. Spricht man hauptsächlich Senioren an, könnte man mitunter junge Radtouristen fern halten. Spricht man hauptsächlich sportliche Pedalritter an, könnten sich Familien ausgeschlossen fühlen. Um diesem Teufelskreis zu entkommen, suchten Hartwig und ihre Studierenden einen gemeinsamen Nenner aller Radtouristen.
"Alternative und nachhaltige Mobilität, Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein zeichnet Radtouristen aus", bringt es Hartwig auf den Punkt. Unter diesen Gesichtspunkten spielen dann Faktoren, wie das Alter keine Rolle mehr. Jung und alt sollen sich im alten Industriegebäude wohlfühlen. Von einem Heuhotel und komfortablen Zweibettzimmern ist in der Ausstellung die Rede. Regionale Küche und ein Platz zum Trocknen nasser Sachen sowie ein Unterstand und Reparaturservice für Drahtesel ist vorgesehen. "Wir haben wirklich an alles gedacht", freut sich Hartwig über das Lob eines Besuchers.
Einzig was dem Konzept der Immobilie der Oststrand GmbH schaden könnte, ist die geplante Ostrandstraße. "Das Gelände ist ruhig und idyllisch gelegen. Die Nordverlängerung, die in der Nähe des Grundstücks verlaufen würde, könnte dies beeinträchtigen", so die Designerin und Hotelplanerin. Doch das ist Politik, die im vergangenen Wintersemester der Kreativität der Studierenden keinen Abbruch tun sollte. Dieses alte, verfallene Gebäude mit eigenen Ideen zum Leben zu erwecken, motivierte doppelt.
"Es ist was da, was tatsächlich bearbeitet werden konnte", blickt Isabell Pullwitt zurück. Die Design-Studentin machte sich Gedanken über Tapetendesign. Dabei herausgekommen sind einige Entwürfe mit Fahrradmotiven, die tatsächlich einmal die Wände der Herberge zieren könnten. Zur Zeit werden sie als Muster in der Ausstellung präsentiert, genau wie die Lampe aus Fahrradfelgen sowie die Zimmernummern und Schlüsselanhänger aus Fahrradketten von ihrer Kommilitonin Anne Rösch. Sie schwärmt von der Immobilie in der Wasserstadt "Es ist ein sehr spannendes Gebäude, welches viele Geschichten erzählt."
Eine neue Geschichte könnte die von der Radler-Herberge sein. Die intensive Suche nach einem Investor läuft. Bis dahin können sich die Besucher in der Vorort-Galerie über das Projekt informieren und mit den Studierenden ins Gespräch kommen.
Die Ausstellung "Radlager. Aus dem Sattel - in die Kissen" ist bis zum 28. Juli in der Vorort-Galerie in der Ratsgasse 1 zu sehen. Am 28. Juli wird in der Galerie um 18 Uhr zu einer Diskussion über Chancen und Defizite von Radtourismus in Dessau-Roßlau eingeladen.