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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Geschichten vom Wurm und aus der Wolfsschlucht

Von ANDREAS HILLGER 06.09.2011, 18:18

DESSAU/MZ. - Um mit der Zielgruppe der Theatertage auf Augenhöhe zu reden, musste der Dessauer Generalintendant André Bücker am Dienstag in die Knie gehen. Die meisten Besucher der Eröffnung im Alten Theater waren nämlich im Kindergartenalter und sorgten durch ihre bloßen Anwesenheit dafür, dass die Ansprachen des Gastgebers und des Bühnenvereins-Vorsitzenden für Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Lutz Herrmann, auf ein Minimum beschränkt blieben.

Das war durchaus angenehm, weil man bei solchen Gelegenheiten normalerweise staatstragende Lippenbekenntnisse zur Rolle und Bedeutung der Bühnen zu hören bekommt - und sich im Alltag wenig später wieder eines Schlechteren belehren lassen muss. In Dessau ging es am Dienstag stattdessen gleich zur Sache. Und die ist nun mal das Theater selbst, das im Idealfall für sich selber sprechen kann und soll. So wie beim Eröffnungs-Gastspiel des Theaters Naumburg, das mit "Algot Sturm und sein Wurm" eine poetische Petitesse buchstäblich zur zauberhaften Fingerübung werden ließ. Ein paar Holzkisten, einen Horizont aus Scheuerlappen und wenige Requisiten - mehr braucht Holger Vandrey nicht, um in der Inszenierung von Stefan Becker die Geschichte einer skurrilen Freundschaft zu erzählen.

Sein eigener Finger ist der eigensinnige Wurm, der den einsamen Menschen adoptiert und mit seinen Launen auf Trab hält. Der Solist zaubert ihn aus dem Hut, er spricht seine Texte hinter vorgehaltener Hand oder aus dem Mundwinkel - und sorgt so binnen kürzester Zeit dafür, dass der Wurm ein Eigenleben gewinnt. Dass es ihm zudem gelingt, die Einwürfe der kleinen Zuschauer in sein Spiel zu integrieren, spricht für dessen Souveränität. So einfach, so schön kann Kindertheater sein.

Ein entgegengesetztes Konzept war danach in "Das Geheimnis der Wolfsschlucht" zu erleben, bei dem das Cottbuser Musiktheater-Ensemble seine ganze Staatstheater-Wucht ausspielte. Eberhard Streuls Bearbeitung von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" treibt zwei Kinder unter eher fadenscheinigem Vorwand auf einen Dachboden, wo sie die Kostüme und Erinnerungsstücke eines alten Tenors finden und prompt in der Geschichte um Max und Agathe landen.

Ein großer Aufwand wird betrieben, um dem Nachwuchspublikum die romantische Oper nahe zu bringen - allerdings in einer Ästhetik, die inzwischen zu Recht im Fundus der Theatergeschichte gelandet ist. Schminke und Perücken, Kostüme und Gestus wirken - zumal in der intimen Situation des Alten Theaters - wie die Beschwörung einer längst vergangen geglaubten Zeit. Diesen Eindruck verstärken Zwischentexte, in denen die beiden Erzähler weder ein Problem verhandeln noch einen Konflikt austragen. Dass man mit allerlei Budenzauber eine Dynamik suggeriert, die gar nicht vorhanden ist, kann über die Mängel der Vorlage nicht hinwegtäuschen. Aber immerhin machen nicht nur die Ventilatoren in der Wolfsschlucht Wind - sondern auch die Musiker und Sänger Kunst. Dennoch hatte man hier den Eindruck, als würde nicht mit Freikugeln auf Tauben, sondern mit Kanonen auf Spatzen geschossen.