1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Dessau-Roßlau: Dessau-Roßlau: Fußballer André Schubert wagt Neuanfang

Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Fußballer André Schubert wagt Neuanfang

Von Thomas Steinberg 01.07.2012, 18:35

Dessau-rosslau/MZ. - Döner mag er, Hamburger auch. Also, dachte er sich, könne er doch versuchen, beides zu kombinieren. In der heimischen Küche experimentierte er mit verschiedenen Zutaten und mixte Saucen zusammen. "Am Ende hatte ich zehn verschiedene Burger." Von denen bestand einer alle Tests und wird seit Montag als "Schubis Burger" ("einzigartig und nur hier erhältlich") in einem neuen Imbiss in der Chaponstraße angeboten: ein Fladenbrot, gefüllt mit frischem Gemüse, hausgemachter Bulette und Sauce.

Ausbildung zum Koch

André Schubert hat Koch gelernt. Die Arbeit als Koch gefiel ihm. "Leider verdienst du damit in dieser Gegend nichts." Er ging in die Nahrungsmittelindustrie, wo man besser zahlte. "Aber Fließband-Arbeit war nun nicht die Erfüllung meines Lebens."

Schubert war überzeugt, wenn er selbständig wäre, könnte es besser laufen. Mit einem Imbiss vielleicht, bei dem, wie er sagt, das Essen nicht nur auf die Pappe geklatscht wird. Alles war vorbereitet, im Februar hätte es losgehen können. Am 16. Januar jedoch war Schubert zur falschen Zeit am falschen Ort, mischte sich ein, als ein Mann einen anderen angriff. Sekunden später steckte ein Messer in seinem Hals, Minuten später wurde er ins Städtische Klinikum in Alten eingeliefert und notoperiert.

Vor kurzem war die Gerichtsverhandlung: Der Täter, ein Mann aus dem Senegal und schwer schizophren, wurde in die Psychiatrie gesteckt. Wann und ob überhaupt er die jemals wieder wird verlassen dürfen, ist völlig ungewiss.

Opfer geriet aus dem Blick

Schuberts Fall wurde zum Politikum: Nicht wenige, und nicht nur explizit Rechtsextreme, mutmaßten, der Staat wolle den Täter vor Bestrafung und Abschiebung schützen. Gründe dafür wurden, wie bei Verschwörungstheorien üblich, nicht benannt. Doch in den wilden und gelegentlich wüsten Diskussionen etwa auf Facebook geriet einer nach und nach völlig aus dem Blick: André Schubert, das Opfer.

Dabei ist der Fall durchaus geeignet, Fragen zu stellen, wie mit den Opfern insbesondere schwerster Straftaten umgegangen wird, die manchmal ein Leben lang an den Folgen zu tragen haben. Natürlich ist deren medizinische Versorgung gesichert, werden sich unter Umständen Psychologen mit ihnen beschäftigen, kümmern sich Opferberater bei der Justiz, wurden die Rechte der Opfer als Nebenkläger im Strafverfahren soweit ausgedehnt, dass inzwischen bei einigen Prozessen Zweifel an der Fairness gegenüber den Angeklagten aufkommen kann.

Nur: Sobald es um Geld geht, bleiben die Opfer häufig mehr oder minder auf sich allein gestellt. Der Täter mag zu Schadenersatz und Schmerzensgeld verurteilt werden - wenn bei ihm kein Geld zu holen ist, wird das Opfer keines sehen.

Das Opferentschädigungsgesetz soll helfen, die finanziellen Folgen einer gesundheitlichen Schädigung durch eine Straftat abzumildern. Dessen Bilanz, konstatiert jedoch sogar die Opferhilfsorganisation "Weißer Ring", sei ernüchternd. Selbst bei Behörden sei das Gesetz kaum bekannt. Nur in zehn Prozent aller Fälle würden überhaupt Anträge gestellt, Sachsen-Anhalt kam 2011 sogar nur auf 5,6 Prozent und lag dazu mit einer Ablehnungsquote von 48 Prozent noch über dem Durchschnitt.

Ein halbes Jahr nach der Tat sagt André Schubert: "Ich musste noch nie so sehr aufs Geld schauen wie jetzt." Den bereits gewährten Existenzgründungszuschuss zu verschieben, sah sich die Arbeitsagentur außerstande, klagt Schuberts Beraterin Bärbel Penno vom Integra Institut, aber wenigstens habe sie ihn verlängert und zahlt nun 3 000 Euro monatlich.

Wer in die Gastronomie geht, darf nicht auf das Wohlwollen der Banken rechnen. Er muss sich in die Abhängigkeit einer Brauerei begeben oder selbst das notwendige Geld aufbringen. "Ich hatte alles zusammen, um den Imbiss aufzumachen", sagt Schubert. Penno hatte ihn überzeugt, dass das die bessere Variante für ihn sei, als wie ursprünglich geplant, eine Eventagentur zu starten.

Aus dem Krankenhaus entlassen, hatte sich Schubert zurückgezogen. "Wenn ich die Leute höre, die sagen, dem geht es wieder gut… Die haben keine Ahnung. Ich habe mich tagelang zu Hause eingeschlossen." Penno bestätigt das: "Es war schwierig, ihn in dieser Phase zu motivieren." Irgendwann wusste Schubert, so könne es nicht weitergehen. Er redete mit den Ärzten, mit dem Psychologen. "Die gaben grünes Licht." Schubert machte sich, von Penno begleitet, an die Arbeit. Das zunächst notwendige Geld, 5 000 Euro, liehen Verwandte und Freunde. Sie packten auch mit zu.

Standort passt

Wegen des Standorts in der Chaponstraße, räumt Schubert ein, habe er anfänglich Bedenken gehegt. Aber das nahe Industriegebiet der ehemaligen Gärungschemie, gleich gegenüber des Imbiss die Zufahrt zu einem Supermarkt - es passe schon. Und: die Räume waren im besten Zustand.

Seine alten Mannschaftskollegen, die Fußballer der ASG Vorwärts, kamen am Sonnabend zur Vor-Einweihung in "Schubi's Imbiss" - zur offiziellen Saisonabschlussfeier. Ab Montag kann Schubert auch anderen Gästen beweisen, was er sich zum Credo gemacht hat. "Man kann selbst in einem Imbiss ordentlich kochen."