Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Fernbus contra Bahn
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Christian Scholz kann nur seufzen: Als Pendler angewiesen auf den Zug zwischen Magdeburg nach Dessau, ist die Tour an manchen Tagen eine Tortur. "Die Kopflehnen sind vergilbt und die Böden dreckig. An warmen Tagen heizt sich die Luft in den Doppelstockzügen schnell auf. Weder gibt es Klimatisierung noch Fenster, die genügend frische Luft hineinlassen", berichtet der 29-Jährige. Eine Alternative gibt es derzeit nicht. Noch nicht.
Alte Regelung gekippt
Doch der Verkehrs-Monopolist Bahn wird Konkurrenz bekommen - auf der Straße. Denn das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat vor wenigen Wochen entschieden, dass Busse im Fernverkehr parallel zum Schienenverkehr zugelassen werden können - wenn die Fuhrunternehmen eine Strecke anbieten, die im Vergleich zur Bahn erheblich preisgünstiger sind. Damit ist die seit 1931 geltende Regelung aufgehoben, dass, wo Züge rollen, keine Busse mehr fahren dürfen.
Der Fernverkehr wird entscheidend liberalisiert, und offenbar wird auch Dessau-Roßlau profitieren: Auf Nachfragen bei hiesigen Fernbusunternehmen besteht durchaus ein Interesse, die Stadt in absehbarer Zeit an ein nun allmählich neu entstehendes Fernbus-Liniennetz anzuschließen. Das private Busunternehmen "Deutsche Touring GmbH" beispielsweise, das seit 2005 um Streckenverbindungen streitet, kämpft um den Zuschlag, eine Verbindung zwischen Leipzig und Magdeburg anzubieten - mit Halt in Dessau-Roßlau.
Beim großen französischen Rivalen der Deutschen Bahn, Veolia, in dessen Tochterunternehmen unter anderem der Fernzug von Leipzig nach Rostock "Inter-Connex", der Harz-Elbe-Express oder der Harz-Berlin-Express betrieben werden, laufen derzeit drei Linienbus-Anträge. Weitere würden bereits in der Schublade liegen, so Sprecher Heinz Gilmar zur MZ. Dort liebäugelt man mit neuen Ost-West-Verbindungen durch Deutschland. Gilmar: "Wir wollen neue Strecken anbieten, auf denen die Bahn weniger gute Angebote hat. Eben dort, wo der Fahrpreis hoch ist und Reisende oft umsteigen müssen." Dabei sei besonders interessant, Liniennetze zwischen mittelgroßen Städten aufzubauen.
Doch die Unternehmen eint auch die Skepsis, ob der Markt tatsächlich liberalisiert wird. Die private Konkurrenz fürchtet, die Deutsche Bahn könne bei kommenden Genehmigungsverfahren weiterhin bevorzugt behandel werden und am Ende ihre Monopolstellung behalten. Die gesamte Bus-Flotte der Bahn besteht momentan aus etwa 12 500 Fahrzeugen. Derzeit habe der Konzern bereits bundesweit 80 Genehmigungsanträge für Fernbuslinien vorformuliert. Doch auf MZ-Anfrage, ob einige der 80 Genehmigungsanträge durch die Bauhausstadt führen, wollten sich Bahn-Sprecher nicht äußern.
Startpunkt in Coswig
Während die einen privaten Fuhrunternehmen versuchen, neue Strecken zu eruieren, gibt es aber bereits einen Fernlinienbus-Betreiber, der Verbindungen von Roßlau aus nach Coswig und von dort nach Potsdam, Leipzig, Dresden, Kassel und Göttingen anbietet. Die Firma "Autobahnexpress" fährt seit März mit einer der ersten Genehmigungen im Osten überhaupt viermal täglich diese Route. Ein Anrufbus bringt Reisende von Roßlau nach Coswig in die Fichtenbreite. Dort hält der Fernbus, der entweder nach Potsdam fährt oder in die entgegengesetzte Richtung nach Leipzig und Dresden.
Ein Nachteil bislang: Der Reisende muss umsteigen, wenn er beispielsweise nach Berlin fahren will. Allerdings kostet der Trip von Roßlau nach Berlin mit Umsteigen in die S-Bahn in Potsdam nur knapp elf Euro. Die Reisezeit per Bus beträgt anderthalb Stunden. Zum Vergleich: Die Bahn verlangt etwa ohne "BahnCard" den doppelten Fahrpreis und benötigt zwei Stunden für die Strecke. Günstiger wird es erst in Gruppen ab drei Leuten. Dann kann das Berlin-Brandenburg-Ticket genutzt werden. Fünf Personen können dabei in einem bestimmten Zeitfenster für 26 Euro in die Hauptstadt fahren.
Der "Autobahnexpress" erwägt, sein Streckenangebot bis zum nächsten Sommer auszubauen. "Allerdings dauert ein Genehmigungsverfahren erfahrungsgemäß ein halbes Jahr", sagt Constantin Pitzen. Auf weitere Schwierigkeiten weisen auch die anderen Betreiber hin: "Alle Strecken-Genehmigungen, die uns bereits erteilt wurden und die, die wir gerade stellen, liegen nach dem Gerichtsurteil aus Leipzig erst einmal wieder auf Eis", so Michael Svedek von der "Deutschen Touring GmbH".
Dass beim für Dessau-Roßlau zuständigen Ordnungsamt noch keine Anträge eingingen, liegt vor allem daran, dass niemand so richtig weiß, wie die neue Gesetzeslage aussieht. Noch warten alle Beteiligten auf die Urteilsbegründung des Leipziger Verwaltungsgerichtes. Erst ab Ende Sommer wollen Reiseunternehmen konkreter werden, wie das Fernbuslinien-Netz ausgebaut werden soll - zu Gunsten des Wettbewerbes und damit zum Vorteil des Nutzers öffentlicher Verkehrsmittel. Dann nämlich können Reisende wie Christian Scholz abwägen, ob Bus oder Bahn ihnen attraktiver erscheint.
Günstigeres Angebot
Klar ist aber schon jetzt: Sollte es eine Linienverbindung zwischen Magdeburg und Dessau-Roßlau geben, so wird diese günstiger sein müssen als das Angebot der Deutschen Bahn. So will es das Bundesverwaltungsgericht.