Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Ein Lehrstück?
DESSAU/MZ. - Mitte März verbarg sich hinter der Adresse ein Golfplatz im nordrhein-westfälischen Herford. Ende März war es Photo Porst im niedersächsischen Celle. Ob hier die 1. Dessauer Beteiligungs AG sitzt? "Das", staunt Photo-Porst-Chef Kersten Wogan am Telefon, "wollte der Briefträger auch schon von mir wissen."
Sechs Jahre arbeitete Wogan in dem Celler Wohn- und Geschäftshaus. Den Namen 1. Dessauer Beteiligungs AG hat der Unternehmer noch nie gehört. Ähnlich geht es der W & N Frohms Immobilien KG, dem Vermieter des ehemaligen Hotels am Großen Plan 12 in Celle, das neben dem Ladenlokal noch drei Wohnungen hat. "Das sind ganz langjährige Mieter", sagt eine Mitarbeiterin. "Die haben nichts mit Finanzgeschäften zu tun. Das muss eine Verwechslung sein."
Letzte Adresse in Celle
Großer Plan 12, 29221 Celle: Das war die vorläufig letzte Anschrift der 1. Dessauer Beteiligungs AG, die bis Mitte Januar 2012 noch die Pauly Biskuit AG war, dann still und heimlich umbenannt und nach Herford verlegt wurde und dann noch einmal nach Celle umzog. Am 22. März hat die Firma dort einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Celle gestellt
Dass es möglich ist, eine Firma umzubenennen, zu verlegen und dann Insolvenz anzumelden, während am Standort Dessau die Produktion ungestört weiterläuft, es lässt viele verzweifelte Käufer einer Acht-Millionen-Euro-Anleihe der Pauly Biskuit AG um ihr Geld bangen - und am Rechtsstaat zweifeln. Nicht aber die Pauly-Biskuit-Leute. "Der Reflex der Anleger und ihrer sogenannter Verbraucherschutzanwälte, im Falle eines Zahlungsausfalls sofort Anlagebetrug zu vermuten, ist nachvollziehbar jedoch nicht hilfreich für eine objektive rechtliche Prüfung", heißt es kühl in einer Pressemitteilung, die am 29. März ein mehrwöchiges Schweigen des Unternehmens beendet hat, um "mit Fakten den Nährboden für weitere Gerüchte und Mutmaßungen zu entziehen". Dass es diese Gerüchte und Mutmaßungen gibt, hat sich das Unternehmen aus der Seelmannstraße aber selber zuzuschreiben.
Am 9. Januar hatte sich die Pauly Biskuit AG das erste Mal im Jahr 2012 zu Wort gemeldet - und den Verkauf an die Schweizer Sofica Holding verkündet. Der platzte Anfang Februar. Warum, das ist bis heute offen. Zweieinhalb Monate bangten Käufer der Anleihe, versuchten erst Auskünfte, dann ihr Geld zu bekommen. Ersteres war schwierig, Zweiteres ist inzwischen fast aussichtslos. Für die Frankfurter Experten vom Internet-Portal "Anleihen-Finder.de" ist die Pauly Biskuit AG "ein Lehrstück über unseriöse Emittenten von Mittelstandsanleihen". Die Anleihe-Gläubiger der Pauly Biskuit bekämen keine Zinsen mehr und monatelang keine Informationen. "Die Kommunikation des Unternehmens besteht aus Blockade, Verschleierung und Schuldzuweisungen an andere."
Es gebe Konstrukte am Mark, wo eigens eine Gesellschaft zur Emission der Anleihe gegründet wurde. Das eingesammelte Geld floss dann in die eigentliche Gesellschaft, sagt Christoph Morisse vom Internetportal, das seit 2008 in Frankfurt / Main sitzt und sich selbst als "am längsten bestehende unabhängige Informationsplattform für den Markt der mittelständischen Kapitalmarktprodukte" bezeichnet und mit dem "Mibox" gerade einen eigenen Indesx entwickelt hat. Doch dass mit dem Kunstgriff einer Aufspaltung kurz vor der Pleite operiert werde, so Wirtschaftsjournalist Morisse, "so etwas ist uns bislang noch nicht aufgefallen".
Der Anleihe-Markt in Deutschland - und damit der Versuch von Unternehmen, sich von Privatleuten Geld zu leihen, ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Bei "Anleihen-Finder.de" wurden im Jahr 2011 rund 50 mittelständige Emittenten mit einem Anleihe-Volumen von fast 1,8 Milliarden Euro registriert. Unterschieden wird dabei nach Anleihen, die an der Börse gelistet sind und mittlerweile auch oft ein Rating haben. "Das", schätzt Morisse ein, "sorgt auf jeden Fall für mehr Transparenz." Und es gibt Anleihen, die in Eigenregie beworben und ausgegeben werden. Pauly Biskuit ist dafür ein Beispiel - und längst nicht der einzige Problemfall im Anleihen-Geschäft.
Branche mit Problemen
Zuletzt war vor allem die Erneuerbare-Energie-Branche gebeutelt. Die SIAG AG hat im März dieses Jahres Insolvenzantrag gestellt. Mitte 2011 erst hatte der familiengeführte Windkraftanlagen-Zulieferer eine Fünf-Jahres-Anleihe auf den Markt gebracht - mit versprochen 9 Prozent Zinsen. Zuvor war schon Solar Millenium in die Knie gegangen. Der Solar-Hersteller hatte bei einem Zinssatz zwischen 6 Prozent und 6,75 Prozent Anleihen in Höhe von insgesamt über 200 Millionen Euro am Markt platziert - gut 30 000 Anleger bangen hier um ihr Geld. Pauly Biskuit ist da eine deutliche Kategorie kleiner. Die gut 700 Käufer der 7,25-Prozent-Anleihe dürfte das kaum trösten.
Das Unternehmens selbst will derzeit vor allem einen Fakt in den Mittelpunkt rücken: die Rettung von 180 Arbeitsplätzen. Die Argumentation aus der Ende März verschickten Pressemitteilung lässt sich so zusammenfassen: 1. Die Pauly Biskuit & Chocolate GmbH & Co KG hat es geschafft, die Produktion in Dessauer aufrechtzuerhalten, ohne dem Sozialsystem durch eine Insolvenz zusätzliche Lasten aufzubürden. 2. Die Insolvenz der 1. Dessauer Beteiligungs AG war "aufgrund von Misswirtschaft, kriminellen Handlungen und Manipulationen einzelner früherer Mitarbeiter und Berater" nicht zu verhindern. Und überhaupt: Die Umbenennung und Sitzverlagerung der 1. Dessauer Beteiligungs AG seien nur erfolgt, um die positive Geschäftsentwicklung am Standort Dessau nicht zu belasten. Und das Risiko der Anleihe war bekannt. Im Anleiheprospekt sei auf die Risiken eines Totalverlust deutlich hingewiesen worden.
125 Seiten zählt der Pauly-Biskuit-Anleihe-Prospekt, der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) gebilligt wurde. "Es wurden Vollständigkeit, Kohärenz und Richtigkeit überprüft", sagt BaFin-Sprecherin Dominika Kula. Mehr aber nicht. Eine inhaltische Überprüfung oder Bewertung sei damit nicht verbunden. "Wir stellen nur sicher, dass in dem Prospekt Mindestkriterien eingehalten werden." Der Rest sei Aufgabe des Anlegers selbst. Christoph Morisse von "Anleihen-Finder.de" kann das nur bestätigen. "Obwohl es Überwindung kostet, großvolumige Wertpapierprospekt zu lesen, ist es ein Muss für jeden Privatanleger, sich Schritt für Schritt ein Bild von seinem möglichen Schuldner zu machen." Die entscheidende Frage sei: Kann das Unternehmen Zinsen und Anleiheschulden zurückzahlen?
Bei der Pauly Biskuit AG muss diese Frage wohl mit Nein beantwortet werden. Auf MZ-Nachfrage beschreibt Constanze Sika die von ihr benannten "kriminellen Handlungen und Manipulationen" als "im Januar 2012 aufgefallene Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung, die wir bis zum Jahr 2008 zurückverfolgen können".
Wechsel an der Spitze
2008 wurde Sika Vorstandsvorsitzende der Pauly Biskuit AG und hatte dieses Amt inne, bis Pauly Biskuit AG Mitte Januar in 1. Dessauer Beteiligungs AG umbenannt wurde. Jetzt ist Sika Geschäftsführerin der Pauly Biskuit & Chocolate GmbH & Co KG, die am 6. März die Produktion in den Hallen übernommen hat. Eine eigene Strafanzeige hat Sika bislang nicht gestellt. "Im Zuge der laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren sowie insolvenzrechtlichen Verfahren werden diese Umstände genauestens recherchiert werden."
Dafür kämpfen auch eine Reihe von Anwälten, die auf das zum 1. März reformierte Insolvenzrecht setzen, das Gläubigern deutlich mehr Rechte einräumt. Zwei vorrangige Ziele gibt es derzeit: Es soll ein Gläubigerausschuss gebildet werden. Und das Insolvenzverfahren soll von Celle nach Dessau-Roßlau geholt werden, weil hier weiterhin der wirtschaftliche Schwerpunkt des Unternehmens ist und der Insolvenzverwalter leichter und schneller vor Ort ist. Das könnte notwendig sein. In dieser Woche informierte ein Anrufer die MZ, dass aus Pauly-Biskuit-Hallen im Gewerbegebiet Mitte Maschinen abtransportiert werden. Vorige Woche seien Lkw aus Litauen dagewesen. Diese Behauptungen weist Friedrich-Karl Weide, Vorstand der 1. Dessauer Beteiligungs AG, in einem der MZ vorliegenden Schreiben als falsch zurück. "Es wurden zu keinem Zeitpunkt Maschinen oder Teile von Maschinen oder Fahrzeugen aus den Pauly-Biskuit-Hallen entfernt, noch ist eine solche Entfernung beabsichtigt." Darüber hinaus verweist Weide darauf, dass das Vermögen der 1. Dessauer Beteiligungs AG, vormals Pauly Biskuit AG, durch den vorläufigen Insolvenzverwalter inventarisiert und in Beschlag genommen wurde.