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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Der «kleine Dicke» sorgt im Lesesaal für Stuhlknappheit

Von SYLKE KAUFHOLD 05.09.2010, 17:03

DESSAU/MZ. - "Wir wollten mit einem Paukenschlag starten, und das ist uns gelungen", sagte am Freitagabend ein sichtlich zufriedener Guido Frisch. Der Vorsitzende des im Juni gegründeten Fördervereins der Anhaltischen Landesbücherei zog namens des Vorstands ein durchweg positives Resümee der ersten Veranstaltung des jungen Vereins. "Es war eine entspannte aufgeschlossene Atmosphäre sowohl im Publikum als auch bei den Organisatoren, auch das machte es zu einem gelungenen Abend."

Zu einer Tucholsky-Lesung unter dem Motto "Gegen einen Ozean pfeift man nicht an" hatte der Verein anlässlich der Wiedereröffnung der Bibliothek nach Modernisierungsarbeiten eingeladen. "Unser Anliegen war es, die Einführung der Selbstverbuchungstechnik als einen wichtigen Meilenstein in der Bibliotheksentwicklung deutlich zu machen", erläuterte Guido Frisch. Dafür lud der Verein nicht nur zur abendlichen Lesung, sondern bot bereits am Nachmittag bei einem Flohmarkt Lese-, Hör- und Sehstoff für Alt und Jung. Bei strahlendem Sonnenschein und vis a vis der "Aeroflorale II" fanden Bücher, Videos und Kassetten viele Interessenten und Abnehmer. Und am Ende des Tages hatte sich die Kasse des Vereines erfreulich gefüllt - Startgeld für die nächste Veranstaltung.

Der Abend aber sprengte die kühnsten Erwartungen des Vereinsvorstands. Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn waren die aufgestellten Stuhlreihen besetzt. Emsig trugen die Organisatoren Stühle aus allen Ecken der Bibliothek zusammen. Der Lesesaal platzte da längst aus allen Nähten, war im angrenzenden Ausleihbereich die "zweite Reihe" aufgemacht worden. "So viele Besucher hatten wir noch nie bei einer Lesung", staunte Bibliotheksmitarbeiterin Manuela Hoppe angesichts der gut 100 Besucher, die sich inzwischen eingefunden hatten.

Am Ende hatten alle einen Platz gefunden und die Vortragenden konnten die Erinnerungen an den "kleinen Dicken, der mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte" lebendig werden lassen. Dies taten sie gekonnt und mit einer großen Portion Freude. Das Quartett Doris Hacke, Lutz Skupin, Guido Frisch und Peter Fochmann hatte sich eigens für diesen Abend zusammengefunden. "Peter Fochmann hat die Lesung konzipiert, was ihm mit der Mischung aus Auszügen aus Tucholskys Werken und Aphorismen sowie den Ereignissen seines Lebens gut gelungen ist", so Guido Frisch, für den es als Vereinsvorsitzender und Vortragender also eine doppelte Premiere war.

Das Publikum hatte nicht nur sichtlich Gefallen an den Texten Tucholskys, sondern nahm wohl auch manch Denkanstoß mit nach Hause. Denn die Themen Tucholskys, zu Papier gebracht Anfang des 20. Jahrhunderts, über die freie Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit, ein Volk, das dumm gehalten wird, haben an Aktualität und Eindringlichkeit bis heute nichts verloren. Köstlich auch Hartmut Falke als leicht besoffener älterer Herr, der in Wahlkampfzeiten die Parteien besucht und ein treffendes Charakterbild der Nationalsozialisten, Sozialisten (mit mehreren Parteiprogrammen zum Aussuchen und Umtauschrecht bei Nichtgefallen) und Kommunisten zeichnet.

Es war mehr als ein Achtungszeichen, mit dem sich der Förderverein erstmals in der Öffentlichkeit meldete. Man darf gespannt sein, womit er das nächste Mal die Dessauer Literatur- und Bibliotheksfreunde überrascht.

Wer Interesse am Verein hat, dessen Mitglieder und Vorhaben kennenlernen möchte, der ist herzlich zum Stammtisch am 30. September, 19 Uhr, in die Essbar in der Ferdinand-von-Schill-Straße eingeladen.