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Das neue Wolfsrudel Das neue Wolfsrudel: Radfahrer aus Dessau hatten eine ungewöhnliche Begegnung

Von Henrik Klemm 05.09.2017, 09:07
Im März 2015, als dieses Foto gemacht wurde, da waren die Wölfe noch nicht als Rudel in der Oranienbaumer Heide unterwegs.
Im März 2015, als dieses Foto gemacht wurde, da waren die Wölfe noch nicht als Rudel in der Oranienbaumer Heide unterwegs. HNEE

Oranienbaum/Dessau - Die Landschaft hat sich violett gefärbt, mal mehr, mal weniger. Heckrinder trotten vorbei, schauen, fressen. Koniks haben sich schattige Plätze gesucht.

Das Heidekraut blüht. Es ist die Zeit in der besonders viele Menschen kommen, um die Oranienbaumer Heide zu erkunden, um sich in dieser einzigartigen Landschaft zu entspannen.

Und so hat dieser Tage auch eine kleine Gruppe Dessauer Freizeitradler um die Mittagszeit einen Ausflug ins nahe Naturschutzgebiet gemacht. Auf dem Mittelweg in Richtung Möhlau sind sie unterwegs.

Plötzlich entdecken die Naturfreunde Unerwartetes. Vor ihnen in einigen hundert Meter Entfernung meinen sie Wölfe zu sehen, drei Tiere machen sie aus und wollen es eigentlich nicht wirklich glauben.

Dessauer haben sich bis auf 300 Meter an die Wölfe angenähert

In der Nähe ist ein Mitarbeiter der gemeinnützigen Primigenius GmbH, einer Tochter des Köthener Naturschutzbundes, beim Mulchen. Peter Poppe entfernt Buschwerk und Gehölze, die von den Weidetieren verschmäht werden. Das ist nicht eben leise.

Doch die Wölfe, so erzählen es die Radler, scheint dies wenig zu stören. „Ich habe so etwas in der Natur noch nie erlebt. Wir sind immer drauf zugefahren, dann sind die Wölfe geflüchtet. Etwa 300 Meter waren es wohl noch bis zu ihnen. Erschrocken waren wir nicht“, erzählt eine der Radlerinnen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Es ist nur ein Moment, der den Dessauern wohl für immer im Gedächtnis bleiben wird. Von einer Beobachtung, die als solche in die Statistiken des Landes eingeht, kann indes nicht gesprochen werden. Doch sie bestätigt durchaus die Entwicklung der Wolfspopulation in der Oranienbaumer Heide.

Drei Wölfe konnten bislang dem Rudel zugeordnet werden

Martin Trost vom Landesamt für Umweltschutz, der viele Jahre mit freiwilligen Helfern die systematische Wolfsbeobachtung in Sachsen-Anhalt durchgeführt, geleitet und wissenschaftlich ausgewertet hat, kennt die Situation genau.

Und er sagt: „Definitiv lebt in der Oranienbaumer Heide ein Rudel, dem bislang drei ausgewachsene Wölfe zugeordnet werden konnten.“ Das ist neu.

Bislang gingen die Wissenschaftler nur von Einzeltieren beziehungsweise einem Wolfspaar aus. Seit 2011 gab es unbestätigte Hinweise auf die Anwesenheit von Wölfen. 2013 verdichteten sich die Informationen. Anfang 2014 konnte dann ein Einzeltier nachgewiesen werden.

Genetische Untersuchungen ergaben, dass es sich um ein weibliches Tier handelt, das 2012 im Rudel Welzow in Brandenburg zur Welt gekommen war. Im Juni 2014 gelang dann der Nachweis eines Rüden.

Von einem Pärchen wurde indes zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen. Erst 2016 bestätigten zahlreiche Beobachtungen die Paarbildung. Weitere im Gebiet entdeckte Wölfe wurden eher als durchziehende fremde Tiere klassifiziert, eine zweifelsfreie Zuordnung war nicht möglich.

Oranienbaumer Heide vermutlich nur Teil des Wolf-Territoriums

Doch wie erklärt der Experte die Probleme bei der Bestimmung des Status von Isegrim in der Heide? Vermutlich sei die Oranienbaumer Heide nur Teil eines größeren Territoriums, den das Rudel in Besitz genommen hat.

Ein zweiter Kernbereich könnte weiter östlich liegen. Und bei großen Entfernungen werden Reproduktionen schnell übersehen. „Ich nehme an, dass wir einfach nicht rechtzeitig bemerkt haben, dass es Nachwuchs gab. Später, als die Tiere etwa in Fotofallen gingen, da waren sie zu groß, um sie als solchen eindeutig bestimmen zu können“, erklärt Martin Trost.

Außerdem habe er keine genetischen Untersuchungen auf den Weg bringen können, obwohl genügend Material zu diesem Zweck gefunden worden ist. Es fehlte einfach am Geld. Trost hofft nun, dass die Jägerschaft im Gebiet östlich der Oranienbaumer Heide - im Raum Bergwitz etwa - sich am Monitoring beteiligt.

„Das wäre sehr freundlich und hilfreich. Gerüchte bringen gar nichts“, sagt er. Fest stehe aber, dass Sachsen-Anhalt nun ein weiteres Rudel hat, zu dessen Territorium die Oranienbaumer Heide gehört.

Wölfen gehen dem Menschen eigentlich aus dem Weg

Für Peter Poppe, der sich Tag für Tag um die Koniks und Heckrinder in der Heide kümmert, bestätigt diese Feststellung seine Vermutungen. Auch er hat immer wieder die Wölfe bei seiner Arbeit mit den Landschaftspflegern beobachtet.

„Die gehen den Menschen aus dem Weg. Wer sie - wie die Dessauer - sieht, der sollte sich freuen, denn so ein Anblick ist selten, wenn man nicht ständig im Gebiet ist. Zumal die Wölfe den Menschen lange bemerkt haben, ehe es umgekehrt geschieht“, sagt er und rät Heidebesuchern zum Weitergehen, falls es doch zu einer Begegnung kommen sollte.

Vorfälle habe es nach dem Angriff auf ein Fohlen im Jahr 2015 und der Tötung weiterer Fohlen 2016 nicht mehr gegeben. „Die Fohlen wachsen seitdem in Wulfen auf. An die Heckrinder trauen sie sich nicht ran“, erklärt Peter Poppe.

Eine Reaktionen der Landwirte ist erforderlich

Natürlich hat die Entwicklung der Wolfspopulation weitere Auswirkungen auf die Beweidungsprojekte, die Primigenius in der Oranienbaumer Heide, im Wulfener Bruch und bald auch an der Elsdorfer Sandkiete durchführt.

Geschäftsführer Stefan Reinhard spricht auch angesichts von Wolfsbeobachtungen im Lödderitzer und Diebziger Forst und der Tötung von zwei Kälbern durch einen Wolf in Kühren von dringend erforderlichen Maßnahmen.

„Wir müssen reagieren“, sagt er. So überlege er, den Weidezaun, der das Terrain für die Fohlen in Wulfen begrenzt, zu verstärken. Auch die Schafe, die nach Elsdorf kommen, werden wolfssicher eingezäunt. Grundsätzlich indes würde er es besser finden, wenn der Wolfsbestand künftig reguliert und auf bestimmte Gebiete begrenzt werden könnte. (mz)

Die Hochschule Anhalt und die gemeinnützige Primigenius GmbH, Tochtergesellschaft des Naturschutzbundes Köthen, laden mit weiteren Kooperationspartnern wie dem Biosphärenreservat „Mittelelbe“, dem Bundesforstbetrieb „Mittelelbe“ und dem Naturkundemuseum Dessau am 9. September zu einer Fahrradexkursion in die Weidelandschaft der Oranienbaumer Heide ein.

Los geht es um 10 Uhr mit dem Fahrrad am alten Bahnhof in Oranienbaum (Eisenbahnstraße). Die Exkursion dauert circa drei Stunden. Während der Exkursion werden die wichtigsten Erfolge des Pflegemanagements sowie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung erläutert.

Experten der Hochschule Anhalt sowie weitere Wissenschaftler aus der Region wie der Ornithologe Axel Schonert und die Insektenforscher Timm Karisch und Ralf Henning werden mit Lupe, Kescher und Fernglas Einblicke in die Tier- und Pflanzenwelt geben.

Im aktuell größten Beweidungsprojekt Sachsen-Anhalts pflegen Heckrinder und Koniks auf etwa 800 Hektar seltene Heide- und Sandrasen-Lebensräume. Das trägt in großem Maße zur Bewahrung der Artenvielfalt in der Region bei.